Hinweisgeberschutzgesetz :
Können auch Vorstände Whistleblower sein?

Von Anne-Kathrin Bertke
Lesezeit: 3 Min.
Der Schutzbereich des Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) schließt Vorstände und Geschäftsführer ein
Hinweisgeber in Unternehmen sind vor Repressalien geschützt. Das gilt unter Umständen sogar für Führungskräfte. Wie verträgt sich das mit der Verschwiegenheitspflicht? Ein Gastbeitrag.

Vorstände und Geschäftsführer sind gesetzlich verpflichtet, Stillschweigen zu bewahren über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Organmitglied bekanntgeworden sind. Verstöße gegen diese Geheimhaltungspflicht sind strafbewehrt; sie können mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr – bei börsennotierten Unternehmen sogar bis zu zwei Jahren – oder mit einer Geldstrafe sanktioniert werden.

Gleichzeitig schützt das neue Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) alle natürlichen Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit Kenntnis von strafbewehrten und bestimmten bußgeldbewehrten und sonstigen Verstößen erlangt haben und diese Informationen an gesetzlich vorgesehene Meldestellen melden oder offenlegen. Der Schutzbereich schließt Vorstände und Geschäftsführer ein. Hierbei handelt es sich nicht etwa um ein Versehen des Gesetzgebers: Bereits nach der zugrunde liegenden europäischen Hinweisgeberrichtlinie können „Anteilseigener und Personen, die dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan eines Unternehmens angehören“, ausdrücklich den Schutz als Hinweisgeber beanspruchen. Auch die Gesetzesbegründung stellt klar, dass „Organmitglieder von Gesellschaften wie zum Beispiel Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft“ erfasst werden.

Dürfen Vorstände und Geschäftsführer also entgegen ihrer strafbewehrten Verschwiegenheitspflicht mögliche Gesetzesverstöße im Unternehmen an eine interne oder externe Meldestelle melden oder – äußerstenfalls – sogar gegenüber Dritten offenlegen?

Nur in Ausnahmefällen

Grundsätzlich gilt: Jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied ist zunächst verpflichtet, der Geschäftsleitung zu ermöglichen, Missstände zu beseitigen. Dies leitet sich aus der spezifischen Aufgabe des Aufsichtsrats ab, die Geschäftsleitung zu überwachen und auf die Beseitigung etwaiger Rechtsverstöße hinzuwirken. Diese Überwachungspflicht wird durch das Hinweisgeberschutzsystem nicht verdrängt. Hieraus lässt sich jedoch keineswegs ableiten, dass auch einzelne Mitglieder der Geschäftsleitung zunächst interne Maßnahmen ergreifen müssen, bevor sie Compliance-Verstöße gegenüber einer internen oder externen Meldestelle offenbaren oder – im äußersten Fall – veröffentlichen.

Das ergibt sich aus dem Erwägungsgrund 39 der Hinweisgeberrichtlinie. Er stellt ausdrücklich klar, dass auch Personen in Leitungsgremien von Repressalien betroffen sein können und hiervor zu schützen sind. Das Hinweisgeberschutzgesetz nimmt wiederum explizit bestimmte Sicherheitsinteressen und Verschwiegenheits- und Geheimhaltungspflichten (zum Beispiel von Anwälten und Ärzten) vom Hinweisgeberschutz aus. Für Unternehmensgeheimnisse allgemein enthält es eine solche Einschränkung jedoch nicht. Abstufungen der Melde- und Offenlegungsrechte nach Stellung des Hinweisgebers im Unternehmen und erwarteter Loyalität sieht das Gesetz gleichfalls nicht vor. Das Recht von Vorständen und Geschäftsführern, Compliance-Verstößen nachzugehen, wird somit nicht auf interne gesellschaftsrechtliche Instrumentarien – wie etwa einen Beschluss des Kollegialorgans – beschränkt.

Geschäftsleiter sollten von Meldungen im Rahmen eines Hinweisgeberschutzsystems dennoch nur in Ausnahmefällen Gebrauch machen. Zum einen ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit innerhalb der Geschäftsleitung ohne eine grundsätzliche Übereinkunft auf Verschwiegenheit und einen Willen zum gemeinsamen Handeln kaum möglich. Zum anderen verbleiben bis zu einer gesetzgeberischen Klarstellung des Verhältnisses von Verschwiegenheitspflichten zum Hinweisgeberschutz Restzweifel, ob Meldungen im Streitfall sanktionslos bleiben.

Die Autorin ist Anwältin der Kanzlei Kliemt.