Diversität an Hochschulen: Vielfalt bedeutet mehr als Frauenquote

Jeden Mittwochabend um 18 Uhr trifft sich an der TU Berlin eine besondere Gruppe Studierender: das Queer-Referat des Allgemeinen Studierendenausschusses (Asta). Dazu gehören Frauen und Männer, die sich keinem Geschlecht zuordnen können oder möchten, und auch diejenigen, die sich – so steht es auf der Website der Hochschule – als „a-/bi-/homo- oder pansexuell, genderqueer, inter, poly oder trans“ identifizieren. Kurzum: Diverser geht es kaum. Während viele Hochschulen bei dem Thema Diversität vor allem an Chancengleichheit und Frauenquote denken, gehen einige einen Schritt weiter. Etwa die Universität zu Köln: Die Hochschule beratschlagt über Gebetsräume, installiert Unisex-Toiletten oder hisst anlässlich des Christopher Street Day die Regenbogenflagge. Anhand dieser Beispiele zeigt sich: Wer es mit Diversität ernst meint, braucht viele Akteure und muss Zeit und Geld investieren. Mehrere Hochschulen in Deutschland haben sich schon auf den Weg gemacht und zeigen, an welche Punkte es sich dabei zu denken lohnt. 1. Die Hochschulen klären, was sie unter „Diversität“ verstehen Allein das Wort Diversität ist eine Herausforderung für sich. Denn es bündelt eine Vielzahl von Begriffen wie Alter, Geschlecht, Herkunft, Religion, Ethnizität, Weltanschauung und sexuelle Orientierung. Wenn Hochschulen von Diversität sprechen, verfolgen sie meist mehrere Ziele, unter anderem Chancengleichheit, Diskriminierungsfreiheit und einen wertschätzenden Umgang miteinander. Damit jeder weiß, was Diversität bedeutet, widmen viele Hochschulen einen Teil ihres Internetauftritts diesem Thema. Die TU Berlin beispielsweise berichtet im Abschnitt „Über uns“ über Gleichstellung und hat sogar eine Checkliste hinterlegt, mit der Lehrende und Studierende prüfen können, ob die Studiengänge geschlechtergerecht konzipiert sind. Um Dozenten und Professoren noch stärker für das Thema zu sensibilisieren, hat die TU im April einen Workshop zum Thema „Diversitätsorientiertes Lehren“ veranstaltet. Dabei ging es zuerst einmal darum, den Teilnehmern Grundsätzliches näherzubringen – etwa Begriffe wie Gender, Diskriminierung oder Intersektionalität, wenn also ein Mensch aufgrund verschiedener Persönlichkeitsmerkmale Opfer von Diskriminierung wird. 2. Die Hochschulen setzen Schwerpunkte Da das Feld der Diversität so breit gefächert ist, fokussieren sich viele Hochschulen auf einzelne Aspekte. Die Hochschule für angewandte Wissenschaften München hat den Fokus auf Familienfreundlichkeit gelegt. So gibt es beispielsweise ein Familienbüro, ein Eltern-Kind-Zimmer und eine eigene Kita. Das soll der Vereinbarkeit von Familie und Studium dienen. Nebenbei macht es die Hochschule auch für Frauen attraktiver. Denn gerade technische Hochschulen werben offensiv um weibliche Studierende. Viele machen bei Aktionsveranstaltungen wie dem Girls’ Day mit, bei dem Schülerinnen in technische und naturwissenschaftliche Berufe hineinschnuppern können – um sich später nicht nur für ohnehin frauenlastige Studiengänge wie Lehramt oder Kulturwissenschaften zu entscheiden. An der TU Berlin beispielsweise ist nur rund ein Drittel der Studierenden weiblich. An der Hochschule München liegt der Frauenanteil über alle Fächer hinweg immerhin bei 40 Prozent. Doch in den MINT-Fächern, also den Studiengängen aus den Bereichen der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, sind nur 24 Prozent der Studierenden weiblich. „Unsere Professoren bemängeln häufig, dass zu wenige Frauen bei ihnen in den Vorlesungen sitzen“, sagt Katharina Borberg, die an der Münchner Hochschule Gender- und Diversity-Projekte koordiniert. Es wundert also nicht, dass die meisten Hochschulen eine oder mehrere Frauenbeauftragte haben, die die Quote der weiblichen Studierenden im Blick behalten und sich um die Belange der Frauen an der Uni kümmern. In Berlin beispielsweise sind alle Hochschulen laut Hochschulgesetz dazu verpflichtet, eine zentrale hauptamtliche Frauenbeauftragte und bis zu zwei nebenberufliche Stellvertreterinnen zu bestellen. 3. Die Hochschulen wagen sich auch an kontroverse Themen Kaum eine Diversitätsmaßnahme polarisiert so sehr wie Unisex-Toiletten. Die Uni Köln hat schon fünf solcher WCs in zentralen Gebäuden installiert. Für Britt Dahmen, Referatsleiterin für Gender und Diversity Management an der Uni Köln, ein Meilenstein: „Natürlich ist das noch zu wenig, aber allein die fünf waren ein großer Aufwand.“ Einerseits musste die Hochschule zahlreiche gesetzliche und bauliche Vorschriften beachten. Andererseits musste sie auf kritische Stimmen in der Studierendenschaft reagieren: „Es gab überraschend viel Widerstand gegen die Unisex-Toiletten“, erzählt Dahmen und berichtet von Protesten auf dem Hauptplatz der Universität. Der Grund: „Viele Studierende dachten, Unisex-Toiletten kosten so viel – dabei stimmt das gar nicht“, sagt sie. Statt etwa Urinale kostspielig wieder abzubauen, hat die Hochschule einfach Trennwände installiert und so Geld gespart. 4. Die Hochschulen halten die Chancengerechtigkeit im Blick Diversität bedeutet auch Chancengerechtigkeit. Und die ist für Hochschulen immens wichtig. Das Ziel: Nicht nur Kinder aus Akademikerfamilien sollen Zugang zu Bildung haben, sondern jeder. Deswegen arbeitet die TU Berlin mit der Initiative Arbeiterkind.de zusammen. Die Regionalgruppe Berlin hat im Sommer 2018 ein Büro auf dem Campus bezogen. So will die Hochschule Schülerinnen und Schüler motivieren, als Erste in ihrer Familie zu studieren. Und selbst wer kein Abitur hat, kann trotzdem den Weg in den Hörsaal schaffen. „Es kommt vor, dass in Vorlesungen Handwerksmeister mit viel Berufserfahrung neben frischgebackenen Abiturienten sitzen“, sagt Borberg von der Hochschule München. Auch die Uni Köln mischt in puncto Chancengerechtigkeit mit: Sie bietet zwölf Studentische-Hilfskraft-Stellen pro Jahr ausschließlich für Studierende an, die als Erste aus ihrer Familie an die Uni gegangen sind. 5. Die Hochschulen lassen sich ihre Aktivitäten zertifizieren Um zu zeigen, dass nicht nur „Normalstudierende“ – also Abiturienten und Abiturientinnen deutscher Herkunft, die unmittelbar nach dem Schulabschluss ein Vollzeitstudium aufnehmen – willkommen sind, lassen sich viele Hochschulen mit einem Zertifikat auszeichnen. Das Diversity-Audit „Vielfalt gestalten“ des Stifterverbands beispielsweise berät Hochschulen dabei, eine Strategie für mehr Diversität auf dem Campus zu entwickeln und diese umzusetzen. Inzwischen sind 36 Hochschulen hierzulande auditiert, darunter die Universitäten in Köln, Bremen und Tübingen. 6. Die Hochschulen zeigen Präsenz Ob als Gruppe beim Christopher Street Day, mit einer hochschuleigenen Diversitäts-Woche oder einem Stand auf dem Diversity Day: Die Hochschulen zeigen Präsenz. So hat die Uni Köln im Mai zum mittlerweile fünften Mal eine Diversitäts-Woche organisiert. Auf dem Programm standen 47 Veranstaltungen rund um Vielfalt, Verschiedenheit und Chancengerechtigkeit. Unter dem Motto „Du machst den Unterschied!“ wollte die Hochschule Studierende und Mitarbeitende für den Umgang mit Vielfalt und Chancengerechtigkeit sensibilisieren und auf die existierenden Angebote an der Universität aufmerksam machen. Vergangenes Jahr hat die Universität zum ersten Mal anlässlich der LGBT-Veranstaltung Cologne Pride die Regenbogenflagge gehisst, ein Symbol für Toleranz und Vielfalt. Und nicht nur auf dem Campus präsentiert die Uni Köln ihre Diversitätsstrategie, erzählt Dahmen: „Wir laufen dieses Jahr bei der Parade zum Christopher Street Day mit – nicht nur die Studierenden, sondern auch die Beschäftigten.“