Höchster Berg nicht bereit :
Warum sich die Saison am Mount Everest verzögert

Von Stephanie Geiger
Lesezeit: 3 Min.
Zelte von Bergsteigern im Everest-Basislager im Distrikt Solukhumbu am 18. April 2024.
Der Khumbu-Eisbruch ist mangels Niederschlägen zerklüfteter als sonst. Daher dauert es am Mount Everest noch, bis die ersten Expeditionen in Gang kommen.

Die Saison am Mount Everest, dem höchsten Berg der Welt, kommt 100 Jahre nach dem ersten Besteigungsversuch durch George Mallory und Andrew Irvine nur schleppend in Gang. Zwar sind zum ersten Mal seit 2020 auch auf der tibetischen Nordseite wieder internationale Expeditionen zugelassen. Sie sollen aber offenbar erst zwischen dem 25. und 30. April ins Land gelassen werden.

Auf der Südseite des 8848 Meter hohen Bergs ist der tückische Khumbu-Eisbruch aufgrund der wenigen Niederschläge im Winter zerklüfteter als in den Vorjahren. Obwohl sie sich schon Anfang März auf den Weg an den Berg gemacht haben, konnten die Icefall Doctors, einheimische Bergsteiger, die bis hinauf zum Gipfel die Route mit Fixseilen ausstatten und Eis­abbrüche und Gletscherspalten mit Leitern versehen, erst am vergangenen Mittwoch, vergleichsweise spät, den untersten Teil der Aufstiegsroute durch den Khumbu-Eisbruch bis zum Lager II freigeben.

Neues Regelwerk für Everest-Expeditionen

Die Icefall Doctors mussten wesentlich mehr Gletscherspalten als sonst mit Leitern überbrücken. Aber nicht nur das: Zweimal landeten sie laut Dawa Steven Sherpa von Asian Trekking in einer Sackgasse. Einmal stoppte sie eine Gletscherspalte, die so groß war, dass sie mit Leitern nicht passierbar gemacht werden konnte, ein anderes Mal endet ihre Arbeit an einem stark überhängenden Gletscherteil, das sie nicht überwinden konnten. Und es gibt auch noch einen riesigen Eis-Sérac an der Westschulter des Berges, der abzubrechen droht. 2014 kamen aufgrund einer Eislawine 16 einheimische Hoch­träger auf ihrem Weg durch den Gletscherbruch ums Leben. Die Devise in diesem Jahr lautet deshalb, noch schneller durch diese Passage zu steigen. Angesichts der Erfahrungen der vergangenen Jahre und langer Wartezeiten und Staus besonders vor Leitern scheint das aber wenig realistisch.

Mit gut zweiwöchiger Verzögerung hat nun der Transport von Ausrüstung und Lebensmitteln in die höher gelegenen der insgesamt vier Hochlager begonnen, in denen die Expedi­tions­teilnehmer übernachten. Die Regeln sehen in Nepal vor, dass Hubschrauber nur im Notfall und für den Transport von Fixseilen und weiterem Material für die Icefall Doctors höher hinauf­fliegen dürfen als ins Basislager.

Für Aufsehen sorgte Mitte Februar ein neues Regelwerk für Everest-Expeditionen („Basecamp Management Proce­dure“). „Die lokale Regierung unternimmt positive Schritte, um die Umwelt zu schützen und den Tourismus im Khumbu nachhaltiger zu gestalten. Wir werden während der Frühjahrssaison wissen, wie viele der neuen Regeln praktisch anwendbar sind und wie viele Regeln geändert werden müssen, aber auf jeden Fall sollten wir alle diese Initiative der Regierung unterstützen“, sagte Ang Tshering Sherpa, selbst ­Expeditionsveranstalter und lange Präsident der Nepal Mountaineering Associa­tion. Die Praxis zeigte aber schon in den ersten Wochen, dass viele der neuen Regeln unpraktikabel sind. Deshalb wurden sie auch überwiegend wieder gekippt.

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So sollte es keine Cargo-Hubschrauberflüge mehr ins Basislager geben. Weil es aber zu wenige Yaks in der Region gibt, wurde das Material der Expeditionen wieder mit dem Hubschrauber an den Fuß des Mount Everest gebracht. Laut Berechnungen des Innsbrucker Expeditionsveranstalters Lukas Furtenbach ist das sogar die klimafreundlichere Lösung. Ein moderner Hubschrauber, wie er in Nepal im Einsatz ist, verursache mit 400 Kilogramm Ladung von Kathmandu ins Everest-Basislager hin und zurück etwa 10,8 Kilogramm CO2-Ausstoß. Bei einem Transport mit Yaks würden allein auf dem Hinweg 241 Kilogramm CO2-Ausstoß anfallen, der Lastwagentransport nicht eingerechnet.

Einige Verpflichtungen bleiben bestehen

Die Beschränkungen der Zeltgröße, mit der man Luxusangeboten im Basislager entgegenwirken wollte, wird ebenfalls nicht weiter verfolgt. Laut Lukas Furtenbach hätten dann wesentlich mehr Zelte ins Basislager gebracht werden müssen.

Geblieben sind die verpflichtenden Recco-Sensoren, wie sie heute vielfach in Ausrüstung und Kleidung eingearbeitet sind. Allerdings werden sie am Mount Everest die Erwartungen nicht erfüllen. „Recco dient zur Lokalisierung von Vermissten und Verschütteten, vorwiegend per Suche aus der Luft. Ich wüsste nicht, wie man damit die am Gipfelgrat ‚verloren gegangenen‘ Kunden geführter Expeditionen verhindern oder finden ­hätte können.“ Dafür bräuchte es GPS-Tracker.

Geblieben ist auch die Verpflichtung zu „Wag Bags“, um Fäkalien vom Berg zu ­holen; westliche Expeditionen verwenden solche Entsorgungsbeutel schon seit Jahren. Das ungleich größere Problem scheint aber der Umgang mit ­Fäkalien und Urin im Basislager zu sein. Laut Sagarmatha Pollution Control Committee wurden im vergangenen Jahr zwar 21.507 Kilogramm menschliche Ausscheidungen eingesammelt. Sie werden aber laut Beobachtern wenige Kilometer vom Basislager entfernt neben dem Khumbu-Gletscher, mitten im Nationalpark, unbehandelt entsorgt.

Am Everest dauert es also noch. Erfolge gibt es aber schon von der 8091 Meter ­hohen Annapurna zu vermelden. Und auch auf dem Makalu standen in diesem Jahr schon Bergsteiger auf dem Gipfel – der­ ­immerhin 8485 Meter hoch ist.