Tödliche Landstraßen :
„Der Grund für die vielen Toten ist die zu hohe Geschwindigkeit“

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Ein Kreuz zur Erinnerung an einen Verkehrstoten an einer Landstraße
Die Gefahr, auf einer deutschen Landstraße ums Leben zu kommen, ist fünfmal höher als auf einer Autobahn. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat sieht dringenden Handlungsbedarf – zum Beispiel ein Tempolimit von 80.

Landstraßen sind die tödlichsten Verkehrswege in Deutschland. Das geht aus dem Bericht „Reducing Road Deaths on Rural Roads“ der NGO European Transport Safety Council (ETSC) hervor. Im Jahr 2022 sind 1593 Menschen auf Landstraßen ums Leben gekommen. Die Zahlen entsprechen den Werten, die das Statistische Bundesamt bereits im Juli 2023 veröffentlicht hat.

Auf den 166.000 Kilometern Landstraße verunglücken demnach doppelt so viele Menschen tödlich wie auf innerörtlichen Straßen (881 Tote) und fünfmal mehr als auf Autobahnen (314 Tote). Auch wenn nur 25 Prozent der Unfälle auf Landstraßen passieren, machen diese fast 60 Prozent der Verkehrstoten in Deutschland aus.

„Der Grund für die vielen Toten ist die zu hohe Geschwindigkeit“

Die Gefahren auf den deutschen Landstraßen für Verkehrsteilnehmer sind vielfältig. Oft ist der Ausbaustandard der Straßen sehr unterschiedlich und der Gegenverkehr unzureichend voneinander getrennt. Durch Bäume am Straßenrand kommt es zu tödlichen Aufprallunfällen. Die landwirtschaftliche Nutzung stellt ein weiteres Risiko dar. Anders als auf Autobahnen können die Straßen etwa durch Laub oder Tiermist verschmutzt sein. „Die Bevölkerung unterschätzt die Gefahr auf Landstraßen. Viele Menschen halten Autobahnen aufgrund der höheren Geschwindigkeiten für gefährlicher“, sagt Jonas Hurlin, ein Sprecher des Deutschen Verkehrssicherheitsrats e.V. (DVR).

Der DVR sieht aufgrund der hohen Zahl an Toten dringenden Handlungsbedarf auf den Landstraßen. Der Interessenverband zur Förderung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit fordert eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 Stundenkilometern auf schmalen Landstraßen. „Schmale Straßen haben eine Breite von sechs Metern. Nach unserer Kenntnis betrifft das die Hälfte aller Landstraßen“, sagt Hurlin. Die Forderung gelte nicht für die oft gut ausgebauten Bundesstraßen mit Mitteltrennung.

„Der Grund für die vielen Toten ist die zu hohe Geschwindigkeit“, sagt Hurlin. Gegenverkehrsunfälle und Kollisionen mit Bäumen, „nicht verformbaren Hindernissen“, wie es in der Fachsprache heißt, seien bei einer Fahrgeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern selten zu überleben. „Auf vielen Landstraßen ist es eigentlich undenkbar, mit Tempo 100 zu fahren“, so der DVR-Sprecher. Die Limitierung auf 80 Stundenkilometer, mehr Leitplanken an Alleen und eine Trennung des Gegenverkehrs könnten das tödliche Gefahrenpotential senken.

Derzeit analysiert der DVR die Gefahrenlage an der einspurigen B179 in Brandenburg südöstlich von Berlin. Im Rahmen der Untersuchung werden kamerabasierte Echtzeitdaten der Verkehrsteilnehmer erfasst und Gefahrenpotentiale mit Künstlicher Intelligenz analysiert. Mit den Ergebnissen sollen Sicherheitskonzepte für deutsche Landstraßen entwickelt werden.

Bis 2050 null Verkehrstote in der EU als Ziel

In allen 27 EU-Mitgliedstaaten sind im Jahr 2022 nach aktueller Zählung des ETSC 10.637 Menschen auf Landstraßen ums Leben gekommen. Demnach verloren 50 Prozent der Verkehrstoten in der EU auf ländlichen Straßen ihr Leben. 56 Prozent der Unfalltoten waren Pkw-Insassen oder -fahrer, 20 Prozent Motorradfahrer, neun Prozent Fußgänger und acht Prozent Radfahrer. Wie die Untersuchung ergeben hat, sind 2022 43 Prozent aller tödlich verunglückten Radfahrer auf Landstraßen umgekommen. Dennoch waren europäische Landstraßen 2022 sicherer als noch zehn Jahre zuvor im Jahr 2012 (14.162 Tote). Das ist ein Rückgang von etwa 25 Prozent.

Dass die Zahl gesenkt werden konnte, führt der Bericht auf Verbesserungen der Sicherheitsmaßnahmen in den jeweiligen EU-Staaten zurück. In Frankreich, Spanien und im belgischen Flandern wurde etwa das Tempolimit auf Landstraßen gesenkt, Schweden hat in „2+1“-Straßen mit Sicherheitsbarrieren investiert, und im polnischen Westpommern wurden 800 Kilometer Radweg ausgebaut. In allen genannten Ländern hat sich die Zahl der Toten im Vergleich zu 2012 verringert. Jedoch ist die EU noch weit entfernt von ihrem Ziel, die Zahl der Verkehrstoten bis 2050 auf null zu senken.