Pop-Anthologie (185) :
Leben ist Lautstärke

Von Thomas Combrink
Lesezeit: 4 Min.
Judas Priest im Jahr 1991 bei einem Londoner Konzert
Die britische Band Judas Priest gehört zu den Wegbereitern des Heavy Metal. Mit ihrem Lied „Breaking the Law“ lieferte sie 1980 eines der markantesten Stücke des Genres ab, das Sozialkritik per E-Gitarre übt.

Alice Cooper führte 2022 mit seiner Rede Judas Priest in die Rock and Roll Hall of Fame ein. Bei der Veranstaltung spielte die Band drei ihrer bekanntesten Lieder, darunter „Breaking the Law“ von dem Album „British Steel“ aus dem Jahr 1980. Judas Priest wurden 1969 gegründet, aber aus dieser ersten Besetzung ist niemand mehr aktiv. 1974 erschien ihr Debütalbum „Rocka Rolla“. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Songs, die eher dem Bluesrock verpflichtet sind. 1990 veröffentlichte die Band ein Album, das kaum noch in Beziehung zu ihren Anfängen stand.

„Painkiller“ war geprägt vom schnellen Tempo, von verzerrten Gitarren mit gedämpften Quintakkorden, dominierendem Schlagzeug mit Basstrommeln, der hohen, falsettartigen Stimme des Sängers Rob Halford und den düsteren und drastischen Texten.

Zwischen Bluesrock und Thrash Metal

Der Song „Breaking the Law“ von 1980 dagegen ist ein Lied des ästhetischen Übergangs, angesiedelt zwischen der Phase des Bluesrocks und der Zeit des Thrash Metals. Der Titel könnte auch auf die musikalische Entwicklung der Band anspielen, die versucht, mit den eigenen ästhetischen Gesetzen zu brechen. In seiner Autobiographie schreibt Halford, dass das Stück wie alle Songs des Albums „British Steel“ Anfang 1980 in nur dreißig Tagen geschrieben und aufgenommen wurde in den Startling Studios, auf dem Landsitz von Ringo Starr in Ascot.

Der Sänger weist darauf hin, dass Judas Priest keine politische Band sei. Aber der Song „Breaking the Law“ hänge mit dem Amtsantritt von Margaret Thatcher im Mai 1979 und der darauf folgenden zunehmenden Arbeitslosigkeit zusammen. Halford meint damit auch den „Winter of Discontent“, also die Jahreszeit vor dem Regierungsbeginn der Premierministerin, die einerseits kalt und andererseits geprägt war von Streiks und politischen Unruhen.

Banküberfall mit Gitarren

„Out of work and down“ heißt es in der ersten Zeile des Textes, den der Sänger geschrieben hat: „arbeitslos und niedergeschlagen“. In diesem Zustand bewegt sich der Protagonist von Stadt zu Stadt, „as I drift from town to town“. Diese Ruhelosigkeit kann man auch in dem Musikvideo erkennen, das die Band gedreht hat, noch bevor MTV gegründet wurde. Judas Priest fahren in einem Cabrio durch London; bewaffnet mit ihren Gitarren, überfallen sie eine Bank und entwenden aus dem Tresorraum eine Goldene Schallplatte, die für „British Steel“ verliehen wurde. Der Wachmann, der das Geschehen über die Bildschirme verfolgt, ist angetan von den Ereignissen, spielt auf einer Holzattrappe Gitarre. Die Regie bei dem Video hatte Julien Temple, der mit den Sex Pistols vorher „The Great Rock & Roll Swindle“ filmte.

Halford erwähnt, dass die Lieder von „British Steel“ von der Punkmusik beeinflusst sind, die wenige Jahre vorher in England wichtig wurde. „Breaking the Law“ ist mit zwei Minuten und 35 Sekunden ein kurzer Song. Ungewöhnlich für ein Stück aus dem Bereich der Rockmusik ist der Verzicht auf das Gitarrensolo. Das hängt vielleicht mit dem Riff am Anfang zusammen, der prägnanten Melodie, die auf der elektrischen Gitarre auf der A- und auf der E-Saite gespielt wird. Während der Strophen klingen die verzerrten Akkorde aus. Das Lied beginnt aber mit einem Auftakt, einem Schlag auf die Snaredrum. Der Riff, der den Song einleitet, besteht aus zwei Teilen, die am Anfang jeweils Viertelnoten enthalten, die schließlich übergehen in Achtelnoten. Die Melodie erfährt dadurch eine Beschleunigung.

Eine einfache Konstruktion

„Breaking the Law“ ist ein druckvolles Stück, das im Vergleich zu anderen Liedern von Judas Priest einfach konstruiert ist. Die Instrumente und der Gesang unterstützen sich gegenseitig, sind aufeinander angewiesen. Im Song finden sich lediglich zwei illustrative Geräusche, die entbehrlich sind, das zersplitternde Glas und die Polizeisirenen. Die Alarmsignale wurden von dem Gitarristen K. K. Downing mithilfe des Tremolohebels an seinem Instrument und des Feedbacks des Verstärkers erzeugt. Im Refrain mit den Zeilen „Breaking the Law“ werden die ersten drei Silben von Halford nur kurz und die letzte wird lang gesungen, unterstützt vom parallelen Anschlag der tiefen Note a auf der Gitarre.

Bei Auftritten der Band wird der Klassiker immer gespielt, meistens am Ende des Konzertes. Der Song ist so beliebt, dass Rob Halford manchmal nur das Mikrofon ins Publikum hält und die Fans im Chor singen lässt. Das Lied wurde von Gruppen wie Motörhead, Doro Pesch, aber auch Arch Enemy neu eingespielt, was die Wertschätzung verdeutlicht, die das Stück im Lauf der Zeit erfahren hat. Bei der Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame waren Judas Priest in erweiterter Besetzung zu sehen; zusätzlich traten der ehemalige Schlagzeuger Les Binks und K. K. Downing auf, der 2011 die Band verlassen hatte. Auch Glenn Tipton war dabei.

Seit mehreren Jahren nimmt er an den Tourneen nicht mehr teil, weil er an Parkinson erkrankt ist. „Breaking the Law“ ist ein zeitloser Song, der auch nach über vierzig Jahren eine enorme musikalische Wucht erzeugt. Der Sound bei den Auftritten kommt dem Lied entgegen; die Akustik der großen Bühne erzeugt einen Hall, der die röhrenden Gitarren, die Gewalt des Schlagzeugs und die Stimme des Sängers betont. „Breaking the Law“ lebt ebenfalls von der Lautstärke, mit welcher der Song gespielt wird. Auch das Ohr folgt Gesetzen, mit denen es zu brechen gilt.