Neues von den Pet Shop Boys :
Mehr Tiefgang als beim „Sunshine Reggae“

Von Lukas Heinser
Lesezeit: 4 Min.
Unermüdlich: Die Pet Shop Boys 2024
Fast auf den Tag 40 Jahre nach Veröffentlichung ihrer ersten Single ist klar, dass man bei den Pet Shop Boys immer mit allem rechnen muss. Auch auf ihrem neuen Album „Nonetheless“.

Das hätte sich Dieter Thomas Heck zu Lebzeiten vermutlich auch nicht vorstellen können, dass die Pet Shop Boys mal ein Lied über seine legendärste TV-Sendung schreiben würden. Und doch ist da, auf dem inzwischen 15. Studioalbum des britischen Elektropop-Duos, ein Song namens „The Schlager Hit Parade“, der schunkelnd Hoffnung spenden will: Wenn die Welt haselnussschwarzbraun (Huch! Heino?!) sei, lauere Trost in der Schlager-Hitparade, wo immer Weihnachten oder Sommer sei und Musik gespielt werden müsse.

Das kommt nur überraschend, wenn man schon wieder vergessen hatte, dass die Pet Shop Boys mit „Winner“ 2012 auch schon einen Song über den Eurovision Song Contest geschrieben hatten, wie sie jedenfalls damals in einem Interview sagten; und dass Neil Tennant und Chris Lowe seit vielen Jahren viel Zeit in Berlin verbringen. Und überhaupt: Fast auf den Tag 40 Jahre nach Veröffentlichung ihrer ersten Single „West End Girls“ sollte klar sein, dass man bei den Pet Shop Boys immer mit allem rechnen muss.

Länger und uneindeutiger

Schönes bleibt: Natürlich besteht der Albumtitel wieder aus einem einzigen Wort, aber im Gegensatz zu kurzen, klaren Aussagen wie „Very“ (1993), „Yes“ (2009) oder „Super“ (2016) ist „None­theless“ („Nichtsdestotrotz“) deutlich länger und uneindeutiger. Hier werden mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Als die Band das Albumcover in den sozialen Medien präsentierte, zogen die stets aufmerksamen Fans gleich Parallelen zum Zweitwerk „Actually“ von 1987. Und dass das Artwork erstmals seit „Elysium“ (2012) von einer Serifenschrift dominiert wird, muss doch auch etwas bedeuten?!

Sänger Neil Tennant wird im Sommer 70 und ist seit einigen Monaten älter, als David Bowie geworden ist. Wenn die Rolling Stones die erste Rock-’n’-Roll-Band sind, die vor den Augen ihres Pu­blikums „alt“ (und anschließend noch älter) geworden ist, sind die Pet Shop Boys die ersten Vertreter der elektronischen Musik, die diesen Weg gehen (Kraftwerk zählen nicht, die sind ja Roboter).

Weil es ja eh zu den großen Mysterien rund um die Band gehört, was genau Chris Lowe auf der Bühne inmitten seiner Keyboard/Computer-Burg macht, während Neil Tennant singt, erscheint es nicht undenkbar, dass er einfach per Copy & Paste aus dem riesigen Archiv von Songs geschöpft und einzelne Bausteine neu zusammengesetzt hat: ein bisschen „Two Divided By Zero“ und „Domino Dancing“ hier („Dancing Star“), ein bisschen „Vulnerable“ und „I Don’t Know What You Want But I Can’t Give It Any More“ dort („Feel“). Sogar die Wellen und Möwen aus „Go West“ kommen wieder zum Vorschein! Aber das gehört ohnehin fest zur DNA der Band: Schon 1991, auf ihrem ersten Best-of-Album, hatten die Pet Shop Boys einen Song namens „DJ Culture“, der die Prinzipien von Samples und Remixen auf politische Rhetorik übertrug – oder umgekehrt.

Hier noch nahezu jugendlich: die „Pet Shop Boys“ Ende 1999
Hier noch nahezu jugendlich: die „Pet Shop Boys“ Ende 1999picture-alliance / dpa

Es gibt nicht so viele andere Musikacts, die ein jährliches Periodikum mit Aufsätzen herausbringen und über die ganze Sammlungen akademischer Abhandlungen veröffentlicht wurden. Klar werden die Songs der Pet Shop Boys von gut gelaunten Formatradio-Wegmoderierern mit den anderen „größten Hits der Achtziger“ einem dankbaren Ü-50-Publikum vorgesetzt (und das völlig zu Recht), doch wenn man nur etwas genauer hinsieht, war bei Tennant/Lowe dann doch immer ein bisschen mehr Tiefgang als, sagen wir mal, beim „Sunshine Reggae“. Aber Pet-Shop-Boys-Konzerte waren eben immer schon Orte für dauergewellte Sekretärinnen in Jeanswesten, schwule Dandys, Musikjournalistennerds und alle dazwischen, und so was kriegen immer nur die ganz großen Acts hin. Auch die Alben der Band versammelten meist beide Arten von Musik: Dance-Tracks und melancholischere, langsamere Nummern.

Dass ihnen vermutlich keine weiteren Hits wie „It’s A Sin“, „West End Girls“, „Heart“ oder „Go West“ mehr gelingen werden, wissen die Pet Shop Boys selbst wahrscheinlich am besten (die letzte Platzierung in den deutschen Single-Charts ist über zehn Jahre her). Sie versuchen es – trotz ihrer Rückkehr zum Major-Label Parlophone – nicht mit der Brechstange, aber es wäre für die beiden vermutlich die schwierigere Aufgabe, einen Song ohne Pop-Appeal zu schreiben.

... und hier im aktuellen Zustand: Neil Tennant und Chris Lowe in der BBC-Doku  „Pet Shop Boys: Then And Now“ (2024)
... und hier im aktuellen Zustand: Neil Tennant und Chris Lowe in der BBC-Doku „Pet Shop Boys: Then And Now“ (2024)dpa

Die erste Single „Loneliness“ (ein Songtitel, den die Pet Shop Boys davor überraschenderweise noch nicht verwendet haben) behandelt die Einsamkeit, ein Gefühl, das schon immer vielen Werken des Duos innewohnte. Im Musikvideo wird das Allgemeine zum Konkreten, wenn der Song den Soundtrack zum Leben queerer Jugendlicher in der Stahlarbeiterstadt Sheffield im Jahr 1992 bildet. Das Video zur zweiten Single „Dancing Star“, eine gesungene Rudolf-Nurejew-Biographie, liefert Querverweise auf den Clip zu „What Have I Done To De­serve This?“, das Duett der Boys mit Dusty Springfield von 1987; jede gesprungene Pirouette ist ein hermeneutischer Zirkel.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
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Um nach ihrer „Trilogie“ mit dem Produzenten Stuart Price („Electric“, „Super“, „Hotspot“) mal wieder eine neue Richtung einzuschlagen, haben die Pet Shop Boys erstmals mit dem 45-jährigen James Ford kollaboriert, der neben seiner langjährigen Zusammenarbeit mit den Arctic Monkeys im vergangenen Jahr mit Blur und Depeche Mode schon zwei anderen Acts mit weitreichender Geschichte behutsam in die Gegenwart geholfen hatte. Hier setzt er in jedem Song auf ein Orchester, das sich (natürlich!) perfekt hinzugesellt zu den Keyboard-Flächen, den stampfenden Beats und Neil Tennants Stimme, die sich zu altern weigert.

„You make me feel like nobody else can“, singt er in „Feel“, und das ist natürlich ein Gefühl, das viele Fans der Band entgegenbringen. In „New London Boy“ rappt er noch einmal so wie bei „West End Girls“, während ein junger Mann in der Schwulenszene der britischen Hauptstadt willkommen geheißen wird. „The Secret Of Happiness“ legt einen überraschenden Bossa nova auf den Plattenteller, und in „Why Am I Dancing?“, dem vielleicht besten Song des Albums, erklingen waidmännische Bläser-Fanfaren, und Neil Tennant fragt sich ernsthaft, warum er tanze. Weil’s die Pet Shop Boys sind?!

Das Album „Nonetheless“ erscheint am 26. April bei Parlophone Records.