HR-Recherche vor Gericht :
Der Guru in Hessen

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Die Zentrale der Sekte im Taunus.
Vor zwei Jahren berichtete der Hessische Rundfunk, Ex-Mitglieder der Sekte Bhakti Marga würfen deren Anführer, dem Guru „Swami Vishwananda“, sexuellen Missbrauch vor. Der bestreitet vehement. Die Sache ist bis heute vor Gericht.

Vor zwei Jahren nahm der Hessische Rundfunk Anlauf, um in seinem Programm mit einem Recherche-Pfund zu wuchern: Die Fernsehdokumentation „Just Love? – Sektenaussteiger packen aus“ und später ein damit verbundener Podcast erhoben gegen den Führer der neohinduistischen Sekte Bhakti Marga („Weg der Hingabe“), Mahadeosingh Komalram, der sich Guru „Swami Vishwananda“ nennt, schwere Vorwürfe. Einstige Mitglieder der Sekte, die ihr Hauptquartier in Springen im Taunus hat, behaupteten, der Guru habe sie sexuell missbraucht. Vishwananda bestreitet die Vorhaltungen. Die Sache ging vor Gericht, und dort ging es für den Sender bislang nicht gut aus.

Anwalt: „offenbar irreparable TV-Dokumentation“

75 Äußerungen, davon 71 dem HR aufgrund seines Films und Podcasts, seien zunächst vor dem Landgericht Hamburg verboten worden; inzwischen seien es noch 66, sagte Ben Irle, der Anwalt des Gurus, am Montag. Neun einstweilige Verfügungen seien erlassen worden, sieben davon gegen den Hessischen Rundfunk.

Das Ergebnis sei „bis heute für den öffentlich-rechtlichen Hessischen Rundfunk geradezu desaströs: Die offenbar irreparable TV-Dokumentation ist seither vollständig aus der ARD-Mediathek gelöscht und fünf der sechs Podcast-Folgen sind durch akustische Störsignale zur Unkenntlichmachung der gerichtlich verbotenen Äußerungen entstellt.“

Der Hessische Rundfunk hatte zuvor, am vergangenen Freitag, eine Pressemittelung mit dem Hinweis verbreitet, nun habe sich Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“ mit der Sekte Bhakti Marga befasst. Der eigene Podcast sei zurzeit nur in gekürzter Version zu hören, der Film sei „aktuell nicht abrufbar“. „Die untersagten Aussagen“ seien „so wichtig, dass der Film nach unserer Auffassung ohne sie nicht funktioniert – deswegen ist der Film noch in Gänze offline“. Doch gehe der HR aufgrund eines juristischen Erfolgs vor dem Oberlandesgericht Hamburg „nun auch gegen die einstweilige Verfügung gegen die TV-Doku vor“.

HR: „Kernpunkt des Verdachts des sexuellen Missbrauchs“

Bei der Recherche zu „Just Love“ habe man „im Kernpunkt des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Sektenmitgliedern durch den Guru die Anforderungen an die Verdachtsberichterstattung eingehalten“, deshalb sei man mit der Berufung vor dem OLG Hamburg in zwei Punkten erfolgreich gewesen, das Gericht habe gelobt, im Podcast werde „ausgewogen und differenziert“ berichtet, der Guru Vishwananda sei „ausreichend konfrontiert“ worden, sein Anwalt sei zu Wort gekommen.

Dieser aber verweist darauf, dass der HR wenig unternommen habe, um die Recherche zu untermauern, „ganze fünf Äußerungsverbote“ seien „durch gerichtliche Aufhebung oder Verzicht entfallen, davon gerade mal drei rechtskräftig“. Statt „die Mängel der Berichterstattungen durch eine vertiefte journalistische Recherche und Überarbeitung“ zu „heilen oder entschiedener den Rechtsweg zu beschreiten“, versuche sich der HR „in irreführender Litigation-PR“. Die Mitteilung „In eigener Sache“ habe der Sender „rechtzeitig und wohl abgestimmt zu der Veröffentlichung der am selben Abend, dem 22. März 2024, erfolgten Ausstrahlung des ,ZDF Magazin Royale‘ herausgegeben“. Die reklamierten juristischen „Erfolge“ des HR gebe es nicht.

Jan Böhmermann hatte sich in seiner Show mit dem Guru und dessen Gebaren kritisch befasst, angefangen bei der teuren Uhr und dem PS-starken Auto des Gurus, der seinen Anhängern persönlichen Verzicht predige und Gehorsam ihm gegenüber fordere, über geschäftliche Aktivitäten der Sekte bis hin zu den im HR aufgeworfenen Missbrauchsvorwürfen, bei denen Aussage gegen Aussage stehe.

Der Hessische Rundfunk verwies auf Nachfrage darauf, dass das Landgericht Hamburg einstweilige Verfügungen erlassen, aber „Anträge zu diversen Einzelaussagen“ zurückgewiesen habe. Das Oberlandesgericht habe „Kernpunkte der Vorwürfe in der Berichterstattung bestätigt“ und festgestellt, dass „Beweistatsachen für eine zusammenhängende Verdachtsberichterstattung“ nicht einzeln als Tatsachenbehauptung untersagt werden dürfen. Podcasts mit mehreren Folgen (der HR-Podcast hat sechs) seien „presserechtlich als Einheit zu betrachten, nicht jede Folge einzeln“. Untätig sei man nicht gewesen, doch habe man zum Beispiel zu jeder Podcast-Folge zahlreiche Abmahnungen erhalten, zum Teil zu mehr als 30 Punkten. Zu dem Film „Just Love?“ sei ein Widerspruch in Vorbereitung. Hier handele es sich um einen „Präzedenzfall in der Presseberichterstattung“, der „allgemein für MeToo-Berichterstattung von großer Bedeutung“ sei.