Oscar-Verleihung 2023 :
So hat das Team von „Im Westen nichts Neues“ die Nacht erlebt

Von Christiane Heil
Lesezeit: 4 Min.
Gewinner: Christian Goldbeck, Edward Berger und James Friend freuen sich gemeinsam.
„Im Westen viel Neues“: Ein deutscher Beitrag hat bei der Oscar-Verleihung vier goldene Trophäen gewonnen. Der Weg dorthin war eine Reise.

Spätestens als der Regisseur Ed­ward Berger seinem Haupt­darsteller Felix Kammerer auf der Bühne des Dolby Theatre dankte, war es mit der Coolness vorbei. „Das war dein erster Film, und du hast uns auf ­deinen Schultern getragen, als ob es nichts wäre. Ohne dich würde keiner von uns hier stehen“, sagte Berger. Salma Hayek Pinault hatte das Kriegsdrama „Im Westen nichts Neues“ ein paar Minuten zuvor als Oscar-Gewinner in der Kategorie „Bester Internationaler Film“ aus­gerufen. Kammerer, in schwarzem Glitter­jackett mit schwarzer Fliege, bekam wässrige Augen und warf überwältigt Kusshändchen in Richtung Berger und Publikum.

Bei dem Empfang für die deutschen Oscar-Nominierten in der Villa Aurora in Los Angeles’ noblem Stadtteil Pacific ­­Palisades am Tag vor der Preisverleihung hatte sich der Siebenundzwanzigjährige von Hollywood eher unbeeindruckt ge­zeigt. „Ich möchte gute Projekte machen. Es ist eigentlich egal, wer sie macht und wo das stattfindet“, sagte ­Kammerer, ein gebür­tiger Österreicher mit Engagements am Wiener Burgtheater und bei den Salzburger Festspielen. Hollywood sei schließlich kein Qualitätsgarant – auch wenn der Oscar die „allergrößte Ehre überhaupt“ sei.

In der Nacht zu Montag wurde der Verfilmung von Erich Maria Remarques Roman „Im Westen nichts Neues“ die Ehre nach neun Nominierungen gleich viermal zuteil – mehr als jeder anderen Produktion in der deutschen Filmgeschichte. Schon vor Kammerers Kusshändchen hatte James Friend auf der Bühne des Dolby Theatre mit den Tränen gekämpft, als Michael B. Jordan und Jonathan Majors ihm den Goldritter für die „Beste Kamera“ in die Hand drückten. „Edward Berger, ich danke dir, aus tiefstem Herzen“, rief der Brite in Richtung des Regisseurs. Die Crew des Kriegsdramas habe ihn weit besser aussehen lassen, als er tatsächlich sei.

Die Kamera, hatte Friend vor der Os­carnacht gesagt, war in den Schützengräben und auf dem Schlachtfeld so eingesetzt worden, dass sie dem Zuschauer den ­Eindruck vermittele, einer der Soldaten zu sein. Nicht nur wegen der Dreharbeiten in Schlamm und bei Regen wurde „Im ­Westen nichts Neues“ eine Heraus­­forderung.

Daniel Brühl, ein Mitproduzent des Kriegsdramas und als Minister Matthias Erzberger, der Unterzeichner des Waffenstillstandsabkommens von Compiègne, einer der Hauptdarsteller, hatte in der ­Villa Aurora auch von emotionalen ­Hürden erzählt. Remarques „heiliges Material“ über die Schrecken des Ersten Weltkriegs anzupacken habe ihn verun­sichert. „Wir wollten aber kein bloßes Remake machen“, verwies Brühl auf die amerikanische Verfilmung des Romans im Jahr 1930. Das sei einer der Gründe für das Zeigen der Verhandlungen über den Waffenstillstand gewesen, die sich bei Re­marque nicht finden. „Wir wollten das Ganze mehr in einen politischen und historischen Kontext stellen“, sagte der Vierundvierzigjährige. Den Kontrast der Szenen aus dem Dreck der Schützengräben zu dem Zugabteil, in dem die sauberen, ge­pflegten Politiker über das Schicksal der jungen Soldaten verhandelten, habe er als besonders eindrucksvoll empfunden.

„Der Film war eine unglaubliche Reise“

Dass „Im Westen nichts Neues“ ein Erfolg war, wusste Brühl schon vor der Oscar-Nacht. Die Reaktionen auf den Film in den Vereinigten Staaten und Großbritannien, wo er im Februar mit sieben Preisen der ­British Academy of Film, auch in der Königskategorie „Bester Film“, ausgezeichnet wurde, habe ihn aber dennoch beeindruckt. „Der Film war eine unglaubliche Reise, ein Stück Filmgeschichte. Da­beisein zu dürfen ehrt mich einfach total“, sagte Brühl.

Der Regisseur Berger, der nach den Os­cars in der Nacht zu Montag Wolfgang Pucks Governors Ball besuchte und später mit Cast und Crew auf Netflix’ Einladung in einem Hotel in West Hollywood weiterfeierte, hatte „Im Westen nichts Neues“ in der Villa Aurora als „wahrhaft euro­pä­ische Produktion“ gelobt. Der Film sei in der Tschechischen Republik gedreht worden, einem Land, in das deutsche Truppen im vergangenen Jahrhundert nicht nur einmal, sondern zweimal einmarschiert waren. „Und dennoch habt ihr uns mit offen Armen, Gastfreundschaft und ungeheurer Professionalität empfangen“, bedankte sich der gebürtige Wolfsburger mit Schweizer Pass bei seinen tschechischen Gastgebern.

Er sah, wie der britische Kameramann weinte

Eine Kraterszene sei ihm besonders in Erinnerung geblieben. Kammerer lag da­mals schon den dritten Tag in Folge mit schlammverschmiertem Gesicht in dem Erdloch, als die Crew plötzlich ein Ge­räusch wahrnahm. „Felix blickte auf und sah, wie der britische Kameramann Danny Bishop weinte, während er ihn filmte. Sein Großvater war im Zweiten Weltkrieg gewesen und hatte ihm beigebracht, Deutsche zu hassen.“ Der Film, sagte der 52 Jahre alte Berger, hat das Potential, solche Grenzen zu überwinden.

Auch der Musiker Volker Bertelmannn, bekannt als Hauschka, erinnerte auf der Bühne des Dolby Theatre an Empathie. Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences hatte den Sechsundfünfzigjäh­rigen in der Nacht zu Montag nach seinen Kompositionen für „Im Westen nichts Neues“ mit dem Oscar in der Kategorie „Beste Filmmusik“ ausgezeichnet – vor Justin Hurwitz, Carter Burwell, Son Lux und der Komponistenlegende John ­Williams. „Als ich an dem Film gearbeitet habe, habe ich immer wieder an meine Mutter gedacht. Sie hat mir oft gesagt, dass man bei sich selbst und seiner Umgebung anfangen muss, wenn man Menschlichkeit und Mitgefühl in die Welt tragen will“, sagte Bertelmann. Nur auf diese Weise könne man das Zusammenleben mit anderen lernen. Emotional, gab der Musiker zu, nahm ihn die Arbeit an Remarques Kriegsdrama unerwartet stark mit. Gerade bei den Explosionsszenen habe er die ­Bilder auf den Bildschirmen regelmäßig verkleinert. „Jetzt zu einer Gruppe von so talentierten Komponisten zu gehören ist für mich ein großes Geschenk“, sagte Hauschka, bevor sein Name nach der Zeremonie auf dem fünften Stockwerk des ­Dolby Theatre in den Sockel seiner Oscar-Trophäe graviert wurde.

Wie Hauschka lobte auch Christian Goldbeck, der bei den 95. Oscars zusammen mit der Requisiteurin Ernestine Hipper für das Szenenbild des Kriegsdramas mit einem Goldritter geehrt wurde, den Zusammenhalt von Cast und Crew. „Es war eine echte Teamarbeit“, ließ der Ar­chitekt und Production Designer wissen. „Vielen Dank, dass du mir die Gelegenheit gegeben hast, an diesem Film mitzuarbeiten“, rief er dem Produzenten von „Im Westen nichts Neues“, Malte Grunert, zu. Grunert kam in der Nacht zu Montag nicht zum Zug. Wie er in der Villa Aurora verriet, hatte auch er eine Dankesrede vor­bereitet – für den Fall, dass „Im Westen nichts Neues“ den Oscar in der Kategorie „Bester Film“ holt. Grunerts Rede blieb aber in der Tasche, als die Academy die Fantasy-Komödie „Everything Every­where All at Once“ zum Sieger ausrief. Regisseur Berger war da schon im Rekordhimmel. „Was ich wahnsinnig schön finde, ist, dass es vier Oscars sind. Das ist natürlich viel mehr, als wir uns je erhofft hatten.“ Er habe mit nur einem Goldritter ­gerechnet.