Pariser Kunstmessen :
Zeichnungen, so weit das Auge reicht

Von Bettina Wohlfarth, Paris
Lesezeit: 3 Min.
Im Salon du Dessin: Papierarbeiten am Stand von Martin Moeller & Cie, rechts ein Kinderporträt Lotte Lasersteins

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Ein Blatt Papier ist immer noch das faszinierendste Experimentierfeld: Auf den großen Pariser Messen Salon du Dessin und Drawing Now lässt sich die Kunst der Zeichnung von einst und heute in aller Vielseitigkeit genießen.

Eines der bezauberndsten Blätter im Salon du Dessin ist nicht mehr zu erwerben. Es zeigt unter dem Titel „L’inspiration de l’artiste“ einen Künstler, der in einem Rokokosessel am Zeichenbrett sitzt. Als hätte er – endlich? – eine geniale Vision, blickt er, eine Hand vor die Augen haltend, zum Himmel hinauf. Um ihn herum flattern, wohl von der Einbildungskraft beflügelt, Vögelchen wie neue Ideen und tummeln sich neckende Genien.

Das spöttische Blatt Jean-Honoré Fragonards, in brauner Tusche virtuos gezeichnet, gehört zur Sammlung der ehemaligen Händlerin Katrin Bellinger, die im Salon du Dessin, der Pariser Zeichnungsmesse für Kunst von den Alten Meistern bis zur Moderne, eine Gastausstellung bestückt: „Der Künstler bei der Arbeit“ lautet das passende Thema. Kein anderes Medium als die Zeichnung führt den Betrachter so nah an den Schaffensprozess heran. Auch zeitgenössisches Arbeiten mit und auf Papier, wie sie die komplementäre Messe Drawing Now zeigt, ermöglichen einen besonders spontanen oder emotionalen Ausdruck.

Fragonards Studie ist zum Leidwesen manches Connaisseurs zwar schon vergeben, aber im Palais Brongniart lassen sich auf der 32. Ausgabe des Salon du Dessin andere phantastische Blätter entdecken. Gut die Hälfte der 39 Galerien sind französisch, 17 Händler stammen aus den europäischen Nachbarländern oder den USA. Auch in diesem Jahr sind Kuratoren der weltweit wichtigen Grafiksammlungen zur Eröffnung angereist.

Eine der kleinsten und zugleich ältesten Zeichnungen findet sich bei Enrico Frascione aus Florenz. Die 4,5 mal 10 Zentimeter messende „Studie eines Mannes“ in brauner Tusche stammt von dem manieristischen Maler Parmigianino und ist mit mehr als 50.000 Euro beziffert. Bei Florian Härb & Liberté Nuti aus London fällt die gefühlvolle Darstellung der „Heiligen Familie mit Engel“ von Giovanni Battista Tiepolo auf, die einst dem Bildhauer Antonio Canova gehörte (95.000 Euro). Zu den herausragenden Arbeiten bei der Galerie de Bayser aus Paris gehört eine große Figurenstudie zu Jean-Auguste-Dominique Ingres’ Gemälde „Le Martyre de Saint Symphorien“. Sie ist von bester Provenienz und um 700.000 Euro wert.

Quer durch die Epochen

Fast alle auf Alte Meister spezialisierte Händler haben ihre Expertise längst bis in die Moderne oder gar die Gegenwart erweitert. Der Neuzugang Emanuel von Baeyer aus London platziert eine zarte Landschaftsskizze von Caspar David Friedrich (Preis auf Anfrage) neben einer fast abstrakten Landschaft „Ohne Titel“ von Gerhard Richter aus dem Jahr 2020 (180.000). Bei Martin Moeller aus Hamburg springt das Gouache-Porträt eines Jungen in rotem Pullover in die Augen, das Lotte Laserstein 1933 in Berlin vom Sohn guter Freunde malte (75.000). Die auf Surrealismus spezialisierte Pariser Galerie 1900 – 2000 tritt zum ersten Mal beim Salon du Dessin an. An den hundertsten Jahrestag des Surrealistischen Manifests erinnert das poetische Blatt „Ohne Titel – Spaziergang der schönen Engländerin“ von Joan Miró, das der Künstler 1924 der Frau André Bretons, Simone Collinet, schenkte. Mehr als eine Million Euro wird als Preis genannt.

Der Londoner Händler François Delestre hat kürzlich eine Dependance an der Seine eröffnet. An seinem erfrischend farbigen Stand fällt neben ab­strakten Aquarellen von Maurice Estève ein schwungvoll gemaltes Gouache-Interieur Raoul Dufys auf, dessen „Künstleratelier mit Fruchtschale“ eher einem Wohnzimmer gleicht (80.000). Auf Zeichnungen des extrem produktiven Pablo Picasso stößt man auf der Messe immer wieder. Zeit Contemporary aus New York zeigt ein Blatt von 1941 mit drei Aktstudien von Dora Maar, in denen der Maler den Körper eigentümlich schraubt, sodass dieser– kein gutes Zeichen für die Beziehung – wie ausgewrungen wirkt (175.000).

Preiswertes für ein jüngeres Publikum

Drawing Now findet im Carreau du Temple im Marais statt. Der griechische Künstler Christos Venetis, der fotorealistische Bleistiftzeichnungen auf das ­Innere von Buchdeckeln zeichnet, hat einen Auftritt auf beiden Messen: im Salon du Dessin im Rahmen des jährlich vergebenen Preises von Daniel und Florence Guerlain mit zwei weiteren Nominierten; bei Drawing Now bei Martin Kudlek aus Köln (2000 bis 4000). Auch die Französin Alexandra Duprez, bei der Galerie Albrecht aus Berlin, verwendet für ihre poetisch-surrealen, oft mythologisch inspirierten Werke unter anderem Buchdeckel, die sie mit Farbstiften und Collagetechnik bearbeitet (ab 900).

Diesmal nehmen 73 Galerien aus 14 Ländern an der Messe teil, darunter 48 heimische Händler. Die vielfältigen Techniken der Gegenwartskünstler und erschwingliche Preise ziehen auch ein jüngeres Publikum an. Georges-Philippe und Nathalie Vallois aus Paris zeigen Arbeiten des polnischen Künstler Emanuel Proweller, dessen Werk zwischen Figuration und Abstraktion oszilliert (3500 bis 35.000 Euro). Künstlerinnen nehmen einen gleichberechtigten Platz ein: Die Pariser Galerie Lelong stellt die junge französisch-libanesische Malerin Christine Safa vor, deren sensible Landschaften in Öl auf Papier durch ihre komplexen Farbtexturen bestechen (3000 bis 3500).

Salon du Dessin, Paris, Palais Brongniart, bis 25. März, Eintritt 16 Euro; Drawing Now Art Fair, Paris, Carreau du Temple, bis 24. März, Eintritt 16 Euro