Neuer Banksy :
Antikapitalistische Deko für Kapitalisten

Von Mia Hennig von Lange
Lesezeit: 5 Min.
Neuer Banksy in London
Während in London gerade ein neues Banksy-Graffiti aufgetaucht ist, wird in Berlin eine Banksy-Ausstellung gezeigt. Was aber passiert mit der anarchischen Kraft dieser Kunst, wenn man sie in einen Käfig sperrt?

Was machen die Werke eines Streetart-Künstlers, die sich sonst an zerbombten Häusern in der Ukraine oder an der Grenzmauer zwischen Israel und Palästina befinden, auf einmal in einer provisorischen Ausstellungshalle in Berlin, in der sich vor einigen Jahren noch der Elektrofachhandel Conrad befand? An den unvorstellbarsten und verwegensten Orten sind Banksys Werke normalerweise zu finden, an Orten, die zwar rar, aber dennoch sichtbar für alle und frei zugänglich sind.

Es sind vor allem die Orte, die den Schablonengraffiti ihre Relevanz verleihen und die Botschaften zum Leben erwecken: In der Ukraine besiegt ein kleiner Junge einen großen Judoka. In Palästina fliegt eine weiße Taube mit einer schusssicheren Weste und einem Olivenzweig im Schnabel die Mauer entlang.

Banksy hält die Kunstwelt in Atem

Gerade ist in London ein neues Werk aufgetaucht, das Banksy zugeschrieben wird: An einer weißen Hauswand ist die grüne Farbe so gesprayt, dass sie einem kahlen davorstehenden Baum eine Blätterpracht schenkt. Darunter ist im Stil des Künstlers eine Schablonenfigur zu sehen. Banksy hat auf seinem Instagram-Account ein Foto von dem Motiv gepostet, was vermuten lässt, dass er dahintersteckt.

Kurz darauf wurde die Wand mit weißer Farbe beschmiert. Von einem Unbekannten. In Berlin kann man gerade ebenfalls Banksy-Werke betrachten – allerdings nicht im öffentlichen Raum, sondern in einer Ausstellung und nur dann, wenn man 20 Euro bezahlt. Doch was passiert mit den Bildern, wenn sie von ihren Erscheinungsorten getrennt werden?

Abfotografierter Banksy in der Berliner Ausstellung
Abfotografierter Banksy in der Berliner AusstellungAnne Schulz/CBZ

Seit Jahren hält das Phänomen Banksy die Kunstwelt in Atem, denn nach wie vor weiß niemand genau, wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt. Wann immer jemand gesehen oder verhaftet wurde, tauchten neue Werke an Orten auf, an denen die gefasste Person unmöglich sein konnte. Ist sein richtiger Name Robin Gunningham, ist er Robert del Naja von der Band Massive Attack, oder verbirgt sich hinter dem Namen ein Sprayerkollektiv?

Die Spekulationen hören nicht auf, und gerade das steigert die Attraktivität von Banksy für den Kunstmarkt ins Maßlose: Wer schafft es so dauerhaft, sich dessen Mechanismen zu entziehen? Je undurchsichtiger ihr Schöpfer ist, desto wertvoller werden die Graffiti.

In Berlin gibt es jetzt eine Ausstellung über den Künstler – vermutlich ohne seine Einwilligung. Dunkle Räume, viele Infotafeln und am Ende eine „VR-Reise“ sollen die Gäste, so versprechen es Werbeanzeigen auf Instagram und in U-Bahnhöfen, mitnehmen auf eine unvergessliche und „immersive“ Reise durch die Welt des Künstlers. Die hohen Preise und die glanzvolle Aufmachung lassen die Erwartungen wachsen. Hinter dem Baugerüst am Kleisteck im Berliner Westen verbirgt sich ein temporärer Ausstellungsraum. Wer ihn betritt, erhält den praktischen Hinweis, sich nicht gegen die Wände zu lehnen, da diese nur aus Stoff seien.

Gesellschaftskritisch: Werke von Banksy in Berlin
Gesellschaftskritisch: Werke von Banksy in BerlinAnne Schulz/CBZ

Genauso wackelig wie die Wände ist auch die Ausstellung, die vom Concertbüro Zahlmann GmbH ausgerichtet wird. Einem der größten Veranstalter der deutschen Entertainmentbranche, der sonst Bushido, 50 Cent oder Lady Gaga vermarktet. Jetzt interessiert er sich auch für die Werke eines Streetart-Künstlers, dessen Kunst sich insbesondere gegen die Konsumgesellschaft, den Kapitalismus und die Verwertung der Kunst als Sammel- und Spekulationsobjekte richtet.

Zu sehen sind Fotografien von Steve Lazarides – Banksys ehemaligem Manager –, die seine Werke zeigen, Originalprints und Nachahmungen, alles marktgerecht angerichtet, was den Werken sichtbar Gewalt antut. Charakteristisch für Banksy ist ja sein Ausbruch aus dem White Cube. Seine Arbeitsweise verhöhnt die sonst so exklusive Kunstwelt, sie ist ein Versuch der Demokratisierung von Kunst. Aber was passiert mit dem Bild eines Mannes, der einen Stern aus der europäischen Flagge meißelt, wenn es an einer schwarzen Wand in einer Ausstellung hängt statt an einer Hausfassade in Dover kurz nach dem Brexit? Es verliert seine politische Brisanz und wird zur Ware.

Inszenierter Widerstand

Draußen produziert seine Kunst weitere Ironie: So wird beispielsweise in Bristol ein Banksy an einer Häuserwand (der sich einen Spaß aus der „harten“ Polizei macht) mit Sicherheitskameras überwacht, damit ihn keiner klaut. Was die Veranstalter und Banksy dennoch verbindet, ist, dass sie sich selbst autorisieren. Ein Hingucker ist das kleine, aber bedeutende Wort „unauthorised“, das sich auf dem Werbeplakat zu verstecken versucht. Banksy wirkt also nicht offiziell mit.

Seine Beteiligung findet außerhalb statt. Streetart ist immer eine Form von Selbstermächtigung, da Flächen meist illegal genutzt werden und die Werke kein Bleiberecht haben und juristisch nicht als Kunst, sondern als Vandalismus gelten. Daher hat diese Kunstform etwas Verletzliches, wie man aktuell in London sieht. Streetart ist auf der Straße ungeschützt, der Welt ausgesetzt – und landet schnell in den Händen derer, die sie entfernen, zerstören oder ausnutzen wollen. Banksy weiß das. Daher herrscht ein regelrechtes Verbot, seine Kunst zu kommerzialisieren, wie ein Vorfall in London 2018 zeigte: Während einer Auktion zerstörte sich das Werk „Girl with Balloon“, das für eine Million Pfund versteigert werden sollte, durch einen eingebauten Schredder auf einmal von selbst. Oder steigern solche Aktionen den Wert seiner Arbeiten nur noch weiter, indem sie Widerstand inszenieren?

Wem gehört die Kunst?

Banksy legt mit seinen Aktionen den Finger in die Wunde, versucht, soziale Missstände aufzudecken. Doch trägt der Streetart-Charakter, die Überraschung und Unvorhersehbarkeit im öffentlichen Raum dazu bei, dass, so laut die Kapitalismuskritik auch ist, ein Markenname entsteht, der den Wert seiner Werke in die Höhe treibt. Jeder Kapitalist, der die sozialen Verwüstungen mit anrichtet, die Banksy kritisiert, will dessen radikalen Geist als Deko an der Wand hängen haben.

Die Herren kennt man doch: Banksy referenziert oftmals auf bekannte Werke aus der Popkultur
Die Herren kennt man doch: Banksy referenziert oftmals auf bekannte Werke aus der PopkulturAnne Schulz/CBZ

„Pay 20 € now, or one day we’ll ­charge you more“ prangt an der Ausstellungsfassade. Könnte diese gesprayte Aufschrift eine Reaktion vom Künstler selbst sein, der die verlangte Summe von 20 Euro unverhältnismäßig findet? Bei jenen Ausstellungen, an denen Banksy aktiv beteiligt war, wurden Eintrittspreise von maximal 5 bis 10 Euro verlangt. Bei seinem „Bemusement Park Disma­land“, das 2015 in Somerset, England, temporär die Tore öffnete, kostete es die Besucher sogar lediglich drei Pfund. „Ganz in Banksys Sinne“ sieht also anders aus.

Natürlich bleibt die Frage, wem die Kunst gehört, wenn sie an öffentlichen Orten angebracht wird, denn damit stellt man seine Kunst eben auch der Öffentlichkeit zur Verfügung oder genauer gesagt: den Eigentümern der Trägerwände. „Wenn er es an einem Pub angebracht hat, gehört es dem Pub, und wenn es dann verkauft wird, geht das Geld eben an den Pub“, sagt Chris Seward, Besitzer des Prince Albert Pubs in Brighton. Einen Teil seines Rechts am Werk gibt der Künstler automatisch aus der Hand, wenn er es an fremdem Eigentum anbringt. Aber wie legitim und authentisch sind Ausstellungen, die antikapitalistische Kunst nutzen, um Kapital anzuhäufen? Sollte die Kunst von den Orten getrennt werden, auf die sie reagiert?

Banksy wird mit den Worten zitiert, Kunst solle „den Verstörten Frieden bringen und die Zufriedenen verstören“. Das bedeutet aber auch, dass man sie an ihren Anbringungsorten lassen und wirken lassen sollte. Banksy will Gemeinschaft schaffen statt neuer Exklusivität. Durch Ausstellungen dieser Art werden widerständige Künstler, die offen und außerhalb eines dafür vorgesehenen Rahmens sprechen wollen, wieder eingefangen. In der Ausstellung sieht man Werke, die von Banksy stammen sollen. Aber sieht man sie wirklich? Das Präsentieren seiner Kunst im White-Cube-Käfig raubt seinen Werken ihr anarchisches Wesen, das sie haben, wenn man in zerstörten Städten oder gen­trifizierten Nachbarschaften an ihnen vorbeiläuft – und stehen bleibt.

Banksy – A Vandal Turned Idol bis 12. Mai im Berliner ­Kleisteck