Fußball und Geschäft :
Patrioten

Tilman Spreckelsen
Ein Kommentar von Tilman Spreckelsen
Lesezeit: 2 Min.
Die Tage der Streifen sind gezählt: Bundestrainer Julian Nagelsmann zeigt das EM-Trikot des DFB-Teams.
Der DFB ersetzt seinen Ausrüster Adidas durch den Konkurrenten Nike, und Robert Habeck wünscht sich mehr Standortpatriotismus. Was ist nur aus den Grünen geworden?

Wenn es um die Rekordnationalspieler im Fußball geht, hatte der HSV jahrelang gute Karten: In der Statistik wurde jeweils die letzte Bundesligastation eines Spielers gewertet, so dass Franz Beckenbauers 103 Spiele für die deutsche Mannschaft dem Verein angerechnet wurden, dem er von 1980 bis 1982 angehörte. Davon kann sich der seit längerem gebeutelte HSV nichts kaufen. Wer allerdings in jener kurzen Zeit als Fan der Norddeutschen dem „Kaiser“ eines der damals getragenen Trikots zum Unterschreiben hingehalten hatte, würde heute mit dem raren Stück einen erheblichen Gewinn erzielen können, während die ungerechte Statistik längst geändert wurde und Beckenbauers Nationalspiele nun seinem langjährigen Verein Bayern München angerechnet werden.

Natürlich sind Fußballtrikots, die heute in großer Zahl zu Preisen um die hundert Euro verkauft werden, in den allermeisten Fällen keine Wertanlage, nicht einmal solche, die absehbar ultrarar bleiben werden – der Name des Leihspielers Giorgi Chakvetadze, der Anfang 2022 ein paar Monate lang für den HSV spielte, dürfte nur auf wenigen der damals von den Fans georderten Trikots stehen. Wer sie kauft, egal zu welchem Spieler, hat sich mit dem finanziellen Verlust schon abgefunden und rechnet auf den emotionalen Gewinn.

Plötzlich staatstragend

Der DFB kalkuliert da naturgemäß anders. Dass man den langjährigen deutschen Ausrüster Adidas in die Wüste schickt und den amerikanischen Konkurrenten Nike zum neuen Ausrüster von 2027 an ernannte, hat wirtschaftliche Gründe – das Angebot sei einfach zu gut gewesen, heißt es aus den Reihen des Verbandes. Tradition – als die Brüder Dassler 1924 ihre erste Firma anmeldeten, war der Nike-Gründer Philip Knight noch nicht einmal geboren – spielte für die Entscheidung dagegen keine Rolle, und es mag sein, dass nicht einmal der Hinweis auf den Firmensitz in der Diskussion mit den DFB-Unterhändlern verfing. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck jedenfalls erklärte pikiert, er hätte sich von dem Sportverband mehr „Standortpatriotismus“ gewünscht, was mit der staatstragenden Rhetorik eine Auffassung seines Amtes verrät, die grünen Politikern auch nicht in die Wiege gelegt worden ist.

Man erinnere sich nur an die erste Generation der Partei, die in die Parlamente einzog und deren Würdenträger – „mit Verlaub, Herr Präsident“ – wüst beschimpfte, bevor sie selbst an Regierungsposten kam. Der erste von ihnen wurde als „Turnschuhminister“ gefeiert, als er im Dezember 1985 seinen Amtseid als hessischer Umweltminister ablegte. Die weißen Sneaker, die er dabei trug, stehen seit 1990 reichlich verbeult im Museum in Offenbach. Die Marke ist leicht zu erkennen, von Standortpatriotismus keine Spur, der visionäre Politiker nahm die Entscheidung des DFB um 39 Jahre vorweg. Adidas aber könnte sich mit dem Wechsel doch noch abfinden. Womöglich hat die Nationalelf ihre beste Zeit ebenso hinter sich wie Beckenbauer damals beim HSV.