Shakespeare in Wien :
Vergeblicher Ringkampf im Planschbecken

Von Martin Lhotzky
Lesezeit: 3 Min.
Julia Rieder und Frank Gesner in „ROM“
Verwurstung ohne Sinn und Verstand: Am Wiener Volkstheater überschreibt der belgische Regisseur Luk Perceval alle vier Römertragödien von William Shakespeare unter dem großspurigen Titel „ROM“ - kann das etwas über unsere Gegenwart aussagen?

Der Literaturnobelpreisträger T. S. Eliot fand 1927, dass „Titus Andronicus“ eines „der dümmsten und uninspiriertesten Stücke, die jemals geschrieben worden sind“, sei. Er wollte nicht einmal glauben, dass William Shakespeare da wirklich seine Hand im Spiel gehabt hätte. Auch heute noch ist sich die Forschung nicht ganz sicher, ob Shakespeare in dem wohl um 1591/1592 entstandenen blutrünstigen Historiendrama um wilde Rache im spätantiken Rom nicht zumindest einen Mitautoren gehabt haben könnte.

Wie dem auch sei: zusammen mit den Dramen „Coriolanus“, „Julius Caesar“ und „Antonius und Kleopatra“ wird dieser Titus gemeinhin zu Shakespeares Römertragödien gerechnet. Deren sich nun der belgische Regisseur Luk Perceval für das Wiener Volkstheater angenommen hat. Genauer gesagt, der Text des inklusive Pause nicht einmal dreistündigen Abends wurde von Julia Jost in einer sogenannten Überschreibung von Shake­speares vier Stücken unter dem Titel „ROM“ verfasst und von Luk Perceval noch weiter bearbeitet.

Recht traurig gestimmt

Was wir da nun zu hören und zu sehen bekommen, ist zumindest erstaunlich. Auf der Bühne (Philip Bußmann) dreht sich fast den ganzen Abend eine hohe weiße Mauer, davor ein kleines Planschbecken, eventuell eine karge Anspielung auf den Trevi-Brunnen. Dahinter gähnende Leere, manchmal von ein paar Holzsesseln unterbrochen. Auf der Rückseite der Mauer führt noch eine Treppe, die kaum jemals bestiegen wird, weit hinauf. Wenn man genau schaut, entdeckt man ganz im Hintergrund auch Kulissen anderer Volkstheaterproduktionen. Und wenn man genau hinhört, vernimmt man die recht traurig gestimmte, obgleich wunderschöne Musikuntermalung durch Lila-Zoé Krauß.

Runa Schymanski, Lavinia Nowak, Friederike Tiefenbacher in „ROM“
Runa Schymanski, Lavinia Nowak, Friederike Tiefenbacher in „ROM“Marcel Urlaub

Im ersten Teil von ROM gibt es eine Zusammenfassung der Tragödie von Coriolanus, verkörpert von Andreas Beck in schlabbrigem, löchrigem grauen Pullover. Ja, Coriolanus hat mit seinem Heer die Feinde Roms besiegt, aber seine Krieger waren, zumindest in seiner Sicht, Kriegsverbrecher, Frauen- und Kinderschänder. Und die Plebejer, Roms nicht-adeliger Bevölkerungsteil, hassen ihn wiederum, da er sich einen zu großen Teil der Kriegsbeute, wenn auch mit Genehmigung des Senats, angeeignet habe. Dass er dann die Seiten wechselt, für die Feinde Roms gegen seine Heimat in den Kampf zieht und nur auf Bitten seiner greisen Mutter damit aufhört, kommt hier kaum zur Sprache. Dafür erzählt ein Dreigespann aus Kindern – Evi Kehrstephan, Claudia Sabitzer und Uwe Rohbeck in Schulkleidung, die auch aus Erich Kästners „Fliegendem Klassenzimmer“ stammen könnte (Kostüme: Ilse Vandenbussche) – in gruseliger Eigen­beleuchtung mittels Taschenlampen „Die höchst beklagenswerte Tragödie von Titus Andronicus“.

Rötliche Mumifizierung

Der zweite Teil nach der Pause beginnt mit dem Bericht von der Ermordung Julius Cäsars. Gleichsam im Telegrammstil halten Lavinia Nowak als Brutus und Frank Genser als Mark Anton ihre Abschiedsreden auf den alten Julius. Dann beginnt Mark Anton, mit Kleopatra anzubandeln. Julia Riedler darf in etwas, das zuerst ein bisschen wie eine rötliche Mumifizierung aussieht, sich dann aber als hautenges, rötliches Hosenkleid entpuppt, als ägyptische Königin erscheinen. Sie ringen minutenlang im Planschbecken und einigen sich dann doch unter Küssen. Was wiederum Octavius, seine Schwester Octavia und Lepidus, den offenbar schon verbannten dritten Triumviren, abstößt. Rohbeck, Sabitzer und Kehrstephan haben bereits ihre Schulkleidung abgelegt, um jetzt in die Rollen dieser drei Gegenspieler von Kleopatra und Antonius zu schlüpfen. Dann leert sich die Bühne langsam, die weiße Mauer dreht noch ein paar Ehrenrunden, und aus den Lautsprechern dringen abschließende Bemerkungen zu all den Problemen, die uns hier nicht ohne boshaften Witz vorgeführt wurden.

Natürlich hat es durchaus etwas mit unserer Gegenwart zu tun, wenn man dabei zuschauen und zuhören darf, wie Macht zu Korruptheit führt, wie sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Kinder grausam ausgelebt wird, welche furchtbaren Folgen Kriege haben. Allerdings wären solche Erkenntnisse auch schon beim Poeten aus Stratford-upon-Avon selbst zu erspähen. Dafür braucht es keine Überschreibung. Am Ende wirkt „ROM“ eher wie eine szenische Lesung als ein Drama. Diese für Kenner von Luk Percevals Werk an sich recht überraschende Shakespeareverwurstung als „nach William Shakespeare“ zu verkaufen, darf man als maßlose Übertreibung beurteilen.