Joachim Latacz

Joachim Latacz :
Der Mann Homers

Von Jonas Grethlein
Lesezeit: 2 Min.

Man sei kurz davor, das „Rätsel Homer“ zu lösen, verkündete Joachim Latacz vor mehr als zwanzig Jahren in seinem Buch „Troja und Homer“. Hethitische Quellen und neue Ausgrabungen im anatolischen Hisarlık, so der Basler Gräzist, würden es möglich machen, die „Ilias“ als Quelle für einen historischen Krieg in der Bronzezeit zu lesen.

Lataczs Buch fand viele begeisterte Leser, seine Thesen drangen bis ins Feuilleton vor, überzeugten aber die meisten Altertumswissenschaftler nicht. Zwar tauchen bei Homer einzelne bronzezeitliche Gegenstände auf, aber die homerischen Epen spiegeln vor allem die Gesellschaft der frühen Archaik wider. Die verlässliche Überlieferung eines historischen Ereignisses über mehrere schriftlose Jahrhunderte hinweg ist auch im epischen Hexameter schwer vorstellbar.

Die Bedeutung des mündlichen Vortrags

Trotz der Kritik, auf die Latacz im „neuen Krieg um Troja“ stieß, ist die wissenschaftliche Bedeutung seines Beitrags unbestritten. Seit seiner Mitarbeit am „Lexikon des frühgriechischen“ Epos in den Sechzigerjahren widmete er sein Gelehrtenleben Homer.

In der von Uvo Hölscher an der FU Berlin betreuten Dissertation erschloss Latacz das Wortfeld „Freude“ im homerischen Epos, in seiner Würzburger Habilitationsschrift untersuchte er die Kampfdarstellungen in der „Ilias“ und der frühgriechischen Dichtung, die, so seine These, der Praxis im späten achten Jahrhundert v. Chr. entsprachen. Anders als die meisten deutschen Philologen erkannte Latacz früh die Bedeutung der Oral-Poetry-Theorie für die Homerforschung – ob die „Ilias“ und „Odyssee“ nun mithilfe der Schrift komponiert wurden oder nicht, ihre Formelsprache und die typischen Szenen sind stark durch eine Kultur des mündlichen Vortrags geprägt.

Der Wissenschaftsmanager

Latacz brachte nicht nur mit gewichtigen Sammelbänden die Homerforschung voran, in kommentierten Textsammlungen und einführenden Monographien erschloss er auch einem breiteren Publikum den Reiz der homerischen Epen, frühgriechischer Lyrik und der attischen Tragödie. Vorträge vor allgemeinem wie Fachpublikum genoss Latacz sichtlich, seine Begeisterung für antike Literatur war ansteckend.

Große Verdienste hat Latacz auch als Wissenschaftsorganisator. Er gehörte dem Direktorium der Colloquia Raurica an, einer legendären Serie von Konferenzen auf dem Landgut Castelen bei Basel, aus denen manche weit über die Altertumswissenschaften hinaus ausstrahlende Bände hervorgegangen sind. Vor allem aber stellte Latacz eine Phalanx öffentlicher und privater Sponsoren zusammen, die zusammen mit dem Schweizer Nationalfonds einen neuen deutschsprachigen Kommentar zur „Ilias“ finanzieren. Im Jahr 2000 erschien der Einleitungsband, mittlerweile sind bereits zur Hälfte der 24 Gesänge der „Ilias“ Doppelbände verfügbar, jeweils mit einer deutschen Übersetzung, die bis ins Jahr 2021 aus Lataczs eigener Feder stammt. Heute begeht Joachim Latacz seinen neunzigsten Geburtstag.