Projekt von Deezer & Universal :
Ein Update für die Musikstreaming-Welt und seine Folgen

Lesezeit: 5 Min.
Auch die Rolling Stones würden von dem neuen Modell profitieren, ihr neues Album erscheint bei Universal Music.
Universal Music und Deezer wollen ein neues Abrechnungsmodell etablieren. Streams „professioneller“ Musiker sollen finanziell aufgewertet werden, ebenso die aktive Suche nach Songs. Das könnte weitreichende Auswirkungen haben.

Es gibt zahllose Daten, die unterstreichen, wie wichtig das Streaming für die Musikindustrie ist: Alleine für 17,5 Milliarden der 26,2 Milliarden Dollar Umsatz auf dem globalen Markt für Musikaufnahmen standen zuletzt die Auszahlungen von Spotify & Co. Eine Veränderung der Auszahlungsweise der Dienste, über die seit Jahren diskutiert wird, wäre folglich ein großer Schritt.

Von kleinen Ausnahmen abgesehen, schütten sie im Kern – in aller Kürze erklärt – heute nach dem Marktanteil eines jeweiligen Songs an dessen Rechteinhaber Gelder aus. Ein Song muss dafür bloß 31 Sekunden lang gehört werden, eine weitere Unterscheidung ist im aktuellen System nicht vorgesehen.

Mehr Geld für bekanntere Künstler

Der größte Musikkonzern der Welt, Universal Music, und der französische Dienst Deezer wollen nun mit Start im vierten Quartal dieses Jahres ein neues Modell etablieren. Die Kernpunkte des am Mittwoch vorgestellten Vorhabens sind schnell aufgezählt: Streams von Künstlern, die mindestens 1000 Streams im Monat von mindestens 500 monatlichen Hörern vorweisen können, werden in der Abrechnung doppelt gewichtet.

Dies belohne sie fairer für die Qualität und die Attraktivität, die sie der Plattform und Fans brächten, heißt es von den Unternehmen. Obendrein werde ein Song, mit dem ein Hörer „aktiv agiert“ – etwa indem er ihn sucht –, ein weiteres Mal in diesem Maße besser gestellt und der ökonomische Einfluss von Empfehlungen des Algorithmus’ so reduziert.

Außerdem soll bloßes Rauschen und andere nicht von Künstlern stammende funktionale Musik künftig von Deezer selbst gestellt werden und nicht mehr Teil des Ausschüttungspools sein. Was sich mit diesem „Artist Centric“-Modell nicht ändert, sind der Zuteilung nach Marktanteilen, die Grundlogik des von allen Diensten bislang genutzten „Pro Rata“ genannten Ursprungssystems, und die Höhe der Ausschüttungen von Deezer an sich. Sie werden nur anders verteilt. Wie alle Dienste zahlt das Unternehmen rund zwei Drittel seiner Umsatzes an die Rechteinhaber der auf der Plattform vertretenen Songs aus.

2024 will Deezer „Artist Centric“ überall anwenden

Nun ist Deezer mit aktuell 9,3 Millionen Abonnenten ein kleiner Player auf dem Markt und das System soll zunächst auch nur in Frankreich eingesetzt werden. Obendrein wird „Pro Rata“ parallel weiterlaufen, da abseits von Universal noch nicht alle Rechteinhaber dem neuen Modell zugestimmt haben, wie ein Deezer-Sprecher der F.A.Z. bestätigte. Im kommenden Jahr will der Dienst alle Partner an Bord haben und das Modell auf alle Märkte ausrollen.

Die finanziellen Auswirkungen des neuen Modells halten sich fürs Erste also in Grenzen. Dennoch geht mit dem Schritt die erste große Änderung der Auszahlungsweise seit dem Start des Streamings vor mehr als zehn Jahren einher – und diese könnte weitreichende Folgen haben.

Die Ankündigung komme früher als erwartet, nachdem Universal-Chef Lucian Grainge Anfang des Jahres die Arbeit an einem neuen Modell angekündigt hatte, hieß es in einem Analystenkommentar der Investmentbank JP Morgan. In seinem Neujahrsmemo an die Belegschaft hatte Grainge sich einerseits über die schiere Masse an Songs auf den Diensten beklagt – mehr als 100.000 werden täglich neu hochgeladen –, und das Inhalte wie bloßes Rauschen, „echten Musikern“ und ihren Partnern Tantiemen streitig machten. Nach Jahren unter dem alten Modell sei es daher Zeit für Veränderungen. Wie Grainge und Universal sich ein neues Modell im Detail vorstellten, war allerdings bis jetzt unklar.

Auch Sony und Warner Music dürften profitieren

Sollte das „Artist Centric“-Modell nun in den kommenden Monaten auch von anderen, größeren Diensten eingeführt werden, könnte es die Streamingabo-Einnahmen der großen drei der Branche, Universal, Sony und Warner, um 9 Prozent erhöhen, führt JP Morgan-Analyst Daniel Kerven weiter aus. Schließlich vertrieben die sogenannten Majors einen großen Teil der „aktuellen Hits und der besten Musik von früher“. Entsprechend kämen ihnen die Elemente der stärkeren Gewichtung besonders zugute.

Die Streamingabo-Einnahmen steuerten zum Halbjahr 2 Milliarden der 5,2 Milliarden Euro Umsatz von Universal bei. Auch mit Blick auf eine potentielle Flut an KI-Songs und somit noch viel mehr Inhalten, die kaum gehört, aber in Summe eben Gelder abgreifen würden, wäre die Implementierung des Modells hilfreich. Das Kursziel für die Universal-Aktie erhöhte JP Morgan jedenfalls gleich auf 33 Euro.

Weder Sony noch Warner haben sich bislang öffentlich zu den Deezer-Plänen geäußert. Abgesehen davon, dass sie auf Betreiben eines Konkurrenten öffentlichkeitswirksam angekündigt wurden, hätte das Modell freilich für sie ebenfalls Vorzüge. Zumal Warner-Chef Robert Kyncl zuletzt eine mit der doppelten Gewichtung vergleichbare Idee präsentiert und sich beklagt hatte, dass ein Stream eines Ed-Sheeran-Werks genauso viel Geld bringe wie das Anhören von fallendem Regen. Generell sollte das Modell allen Playern mit einem großen Rechtekatalog und rege gestreamten Künstlern zugutekommen.

Über neue Streamingsysteme wird seit Jahren diskutiert, eine flächendeckende Umstellung gelang jedoch bislang nicht. Immer wieder wurde gerade von Seiten der Streamingdienste auf die notwendige Einigkeit unter den Rechteinhabern verwiesen. Dass der weltgrößte Rechteinhaber hinter einem Modell steht, ist naturgemäß schon einmal hilfreich mit Blick auf eine potentiell breitere Anwendung. Eine Besserstellung von aktiv ausgewählten Streams und eine Abwertung von „White Noise“-Inhalten dürfte in der Musikindustrie aber generell gut ankommen – ebenso wie die Ankündigung von Deezer, schärfer gegen Manipulationen vorzugehen.

Gutes Rauschen, schlechtes Rauschen?

Das begrüßt auch der Verband unabhängiger Musikunternehmen (VUT), in dem kleinere Labels, Verlage, Vertriebe, aber auch selbständige Künstlerinnen und Künstler organisiert sind. Das aktive Fan-Engagement zu fördern, indem Titel besser vergütet werden, die von Hörerinnen und Hörern aktiv gesucht, gespeichert oder vorbestellt und eben nicht vom Algorithmus präsentiert wurden, sei eine „Kernforderung“ der vor einem Jahr veröffentlichten Vorschläge des Verbands gewesen, sagte Vorstandsvorsitzende Birte Wiemann der F.A.Z.

„Ebenso sprachen wir uns dafür aus, Streaming-Manipulation mit aller Konsequenz einzudämmen“, so Wiemann weiter. Dass genau diese Punkte zentral adressiert würden, „bringt uns trotz der Überschaubarkeit der bisher gelieferten Details in der stetig schwelenden Debatte um alternative Vergütungsmodelle im Streaming zumindest einen Schritt weiter“.

Birte Wiemann im September 2022 in Berlin
Birte Wiemann im September 2022 in BerlinChristoph Mangler

Es bleibe aber „eine Frage der Interpretation, inwieweit die Formel und die dazugehörige Definition des professionellen Musikers beziehungsweise der professionellen Musikerin wirklich sinnhaft ist, denn es wäre naiv zu glauben, dass der doppelte ,double boost‘, mit dem die aktive Auswahl eines Titels eines ,professionellen‘ Musikers wie zum Beispiel Drake belohnt wird, nicht auf Kosten der unter den neuen Kriterien als Amateurin eingestuften Musikerin ginge“. Wiemann verwies diesbezüglich auf die Analyse des britischen Branchenanalysten Mark Mulligan, der diesen Punkt ebenfalls kritisch sieht.

Gutes Rauschen, schlechtes Rauschen?

Die Grenze, ab der die Streams eines Musikers doppelt gewichtet oder –  je nach Sichtweise eben abgewertet –  werden sollen, wird sicherlich für weitere Diskussionen sorgen. Zumal der Schwellenwert auf Diensten mit mehr Nutzern und folglich mehr Streams nach oben angepasst werden müsste.

Mit Blick auf Regen, Rauschen oder um es mit den Worten von Deezer-Chef Jeronimo Folgueira zu sagen teils auch „den Sound einer laufenden Spülmaschine“ und andere Stücke dieser Art, die etwa zur Entspannung sehr beliebt sind, muss derweil ein Detail beachtet werden. Denn wohl sehr bewusst ist in den Plänen von Deezer und Universal diesbezüglich von „nicht von Künstlern stammender funktionaler Musik“ die Rede.

Erst Ende Mai hat Universal mit dem KI-Start-up Endel, eine Partnerschaft geschlossen, in deren Rahmen mit Werken von Universal-Künstlern sphärische Klangwelten entstehen sollen. Solche Stücke wird Universal kaum schlechter stellen wollen. Aber generell dürfte auch die Einstufung mit Blick auf funktionale Inhalte und den Grad der künstlerischen Beteiligung kompliziert werden.