Foto: Jens Haentzschel

Ein Reich von überbordender Schönheit

Von JENS HAENTZSCHEL (Text und Fotos)
Foto: Jens Haentzschel

17. Februar 2024· Der Town Place Garden in England lässt Gartenfreunde entzückt, aber auch mit einer Frage zurück: Wie haben die Besitzer das geschafft?

Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Jeder Mensch erblickt Gärten anders, empfindet anders, hat andere Vorlieben. Und doch gibt es Orte, in denen Schönheit die Augen sofort überwältigt. Wer in britischen Landschaftsgärten unterwegs ist, kommt viel zu oft aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Zauber der Pflanzungen, die Großzügigkeit gärtnerischer Räume, die Mischung aus Perfektion und Überraschung. Das alles funktioniert bestens. Glorreiche historische Anlagen ziehen sich wie ein Perlencollier durch das Land. Aufregender indes sind manche privaten Gärten.

Der Town Place Garden in der Grafschaft Sussex ist ein durchweg gelungenes Beispiel für Sprachlosigkeit im Angesicht raffinierter Gestaltung: eine Woge aus rosa, violetten, bläulichen Farben. Ein Meer aus Pflanzen, aber auch Solitäre mit Stil und elf Räume, die grundverschieden sind. Hier wird Gartenhunger mit glanzvollen Aussichten belohnt. Was die Inhaber des Gartens, Anthony und Maggie McGrath, auf diesem Stück Land bewerkstelligt haben, verdient Standing Ovations. Denn in ihrem drei Hektar großen Privatgarten erstrahlen so viel überbordender Charme und verständnisvoller Umgang mit Pflanzen, dass man sich unweigerlich fragt: Wie geht das? Was mache ich falsch?

Hier liegt was in der Luft: Mit dem Einzug 1992 hat das Ehepaar McGrath auch einen eigenen Kräutergarten angelegt.
Hier liegt was in der Luft: Mit dem Einzug 1992 hat das Ehepaar McGrath auch einen eigenen Kräutergarten angelegt.

„Schritt für Schritt“ ist die Antwort. Schließlich sind die einzelnen Abschnitte bestens geplant. Wer diesem Garten und seiner Geschichte mehr Zeit schenkt, spürt die bedingungslose Liebe zum Gärtnern und fühlt, dass der viel bewunderte Town Place Garden das Ergebnis harter Arbeit ist. Wie ein Maler vor einer leeren Leinwand haben die McGraths ihr Anwesen Beet für Beet aufgepflanzt, feinfühlig Strukturen entwickelt, sich mehr als einmal beim anderen rückversichert, dass die Ideen die richtigen sind. Und dann kam noch ein Bonustrack dazu: Die umliegende Landschaft macht diesen großen Garten noch eine Spur größer, vollkommener, eindrucksvoller.

Für dieses gärtnerische Spektakel reicht Hingabe allein nicht. Es braucht auch eine Spur Exzentrik und Besessenheit. Die Prinzipien, die der Gestaltung des Gartens zugrunde liegen, sind denkbar einfach: „Es gibt einen großen, gut abgeschirmten zentralen Bereich gleich vor dem Haus“, erzählt Anthony McGrath. „Und um ihn herum eine Reihe kleinerer Gärten mit jeweils ganz eigener Persönlichkeit.“ So entsteht ein Gesamtbild, das wirkt, als wäre der Garten schon immer da gewesen.


„Es gibt einen großen, gut abgeschirmten zentralen Bereich gleich vor dem Haus. Und um ihn herum eine Reihe kleinerer Gärten mit jeweils ganz eigener Persönlichkeit.“
Anthony McGrath

Anfang der 1990er-Jahre erwerben Anthony und Maggie McGrath das historische Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert, das über die Zeit um einige zweckmäßige Anbauten erweitert wird. So reizvoll das Haus ist, so wenig ansprechend ist der Garten. Einzig die mächtigen Eichen, darunter ein mehrere Hundert Jahre altes Exemplar, das bis heute viele Blicke auf sich zieht, und ein kleiner Teich überzeugen die neuen Besitzer. Der Rest ist leere Leinwand, die nun auf Farb- und Formgebung wartet.

Das Ehepaar recherchiert, plant, diskutiert, verwirft, plant abermals, beginnt konkret mit ersten Pflanzungen. Schon zuvor haben beide einen kleinen Garten und mütterlicherseits den grünen Daumen geerbt. Nun ist mehr Platz da, und die Ideen stehen bereit. Der Kerngedanke ist, mit 

unterschiedlichen Räumen zu arbeiten. So sind Entdeckungen möglich, so kommt Schwung in den Garten.

Die 800 Jahre alte Eiche prägt das Zentrum des Privatgartens.
Die 800 Jahre alte Eiche prägt das Zentrum des Privatgartens.

Inspiriert wird der Hausherr als Kunsthistoriker von seinem legendären Kollegen Sir Roy Strong, der sich abseits seiner Expertise für die Kunst der Renaissance und der Elisabethanischen Zeit viel mit Gärten beschäftigt hat – und mit „The Laskett“ auch selbst einen formalen Garten im neoklassischen italienischen Stil mit zahlreichen Sichtachsen angelegt hat. Nicht per se das Vorbild für den Town Place Garden, aber Anthony McGrath setzt auf Strong’sche Aspekte wie Ruhe, Ordnung und Geometrie.

Er legt wie Strong einen Weg an, der auf jeder Seite von jeweils acht als kugelförmig geschnittenen Hainbuchen flankiert wird. „Es ist einer der ersten Bereiche, den wir entwickelt haben. Seine kontrollierte Einfachheit wurde zum Symbol für den gesamten Garten“, erzählt McGrath stolz. Manchmal liegt die große Kunst aber auch im Detail. Bei den Hainbuchen spielt die Sonne für einen Moment die Hauptrolle. Immer dann nämlich, wenn sich die eine Baumreihe kunstvoll als Schattenspiel auf dem Rasen vor den anderen Bäumen verneigt – kontrollierte Gartenkunst pur.

Ähnlich kunstvoll und mit einer Prise Humor geht es im Bereich namens „The Circus“ zu. Hier greifen die McGraths die Leidenschaft von Strong für Buchs- und Eibenhecken auf und integrieren zudem dessen Gedanken, mehr skulpturale Abstraktion im Formschnitt zu wagen. Das Ergebnis: Drei riesige, mit Löchern versehene Eiben erinnern an die Henry-Moore-Bronzeskulpturen „Large Two Forms“ vor dem ehemaligen Bundeskanzleramt in Bonn. So wird die Natur zum Kunstobjekt.

Ein wenig Abstraktion wagen: Diese Eiben erinnern an Skulpturen von Henry Moore und bringen Kunst mit Natur zusammen.
Ein wenig Abstraktion wagen: Diese Eiben erinnern an Skulpturen von Henry Moore und bringen Kunst mit Natur zusammen.

Die tief verwurzelte Liebe zum Gärtnern hat die McGraths immer wieder angetrieben, selbst neue Schritte zu gehen. Maggie hat zwei Jahre lang Grundkurse der Royal Horticultural Society besucht, später dann noch praktische Erfahrungen bei Gartendesignern gesammelt. Als Fotografin hat sie den Blick für Details. „Maggies Stärken sind ihre sorgfältigen Bepflanzungspläne, die eine kontrollierte Verwendung von Farbe, Blattformen, Höhe und Ausbreitung haben und sich harmonisch an die Umgebung anpassen“, erklärt ihr Mann.


„Maggies Stärken sind ihre sorgfältigen Bepflanzungspläne, die eine kontrollierte Verwendung von Farbe, Blattformen, Höhe und Ausbreitung haben und sich harmonisch an die Umgebung anpassen.“

Der Ansatz wird ergänzt durch die Akribie von Anthony McGrath, der dem Inhaber einer der renommiertesten Gärtnereien des Landes längere Zeit über die Schulter geschaut hat. In seinem Gewächshaus probiert er sich aus. Seine Stärken sind „sein Sinn für Raum, seine Visionen und sein exzentrischer Humor“, sagt Maggie. Die zwei sind Yin und Yang mit Kräften, die sich harmonisch ergänzen. Maggie überlässt nichts dem Zufall. Anthony ist der Mann fürs Technische wie Bewässerung und sein geliebtes Glashaus, kümmert sich aber auch um die Vermehrung der Stauden und gestaltet seinen Kräutergarten. Drei Gärtner helfen den McGraths dabei, ihren Traum täglich weiterzuträumen.

Am augenscheinlichsten ist das kunstvolle Miteinander der Blüten dort, wo auf Flächen mit Farbe gespielt und manch ein Blick betäubt wird, so geschickt und emotional präsentiert sich die Gestaltung der Staudenbeete, klassische Mixed Borders unterschiedlicher Länge. Das Motto: mit den vier Farben Mauve, Gelb, Violett und Rosa nicht zu kleckern, sondern zu klotzen.

Buntes Miteinander: Typisch für den Garten sind die Mixed Borders, kleinere und größere Staudenbeete.
Buntes Miteinander: Typisch für den Garten sind die Mixed Borders, kleinere und größere Staudenbeete.

Stauden wie der Ziersalbei ’Superba‘ (Salvia x superba), Storchschnabel (Geranium) oder die Katzenminze ’Walker’s Low‘ (Nepeta x faassenii) kotrastrieren mit gelber Färber-Hundskamille ’E. C. Buxton‘ (Anthemis tinctoria) oder dem Großen Schuppenkopf (Cephalaria gigantea). Der Eindruck ist gewaltig, dabei immer elegant und modern, trotz der vielen Reminiszenzen an die Vergangenheit. Die robusten und biegsamen Ruten von Haselnüssen sind unsichtbare Rankhilfen für viele Stauden, die hoch hinauswollen. Das Beet spielt dabei nicht nur zart mit Farbe, es hat auch eine noch viel aufregendere Struktur.

Am längsten Borderbeet mit knapp 50 Metern bilden die in England beliebte und leicht gräuliche Leyland-Zypresse ’Haggerston Grey‘ (Cupressocyparis leylandii) sowie der hellgrün und -gelb leuchtende Zebra-Lebensbaum ’Zebrina‘ (Thuja plicata) einen besonders beruhigenden Hintergrund, der die wenigen Farben von Wilder Artischocke (Cynara cardunculus), Mazedonischer Witwenblume (Knautia macedonica), der Hohe-Garten-Flammenblumen-Sorte ’Prospero‘ (Phlox paniculata) oder der Hohen Wiesenraute ’Elin‘ (Thalictrum) noch kraftvoller werden lässt.


„Aus Sicht des Gartens hat sich der klimatische Wandel in den letzten zwanzig Jahren schnell und deutlich vollzogen.“

Auffallend untypisch für englische Gärten ist der raspelkurze Rasen, denn er strahlt nicht in der Hoffnungsfarbe Grün, sondern leidet matt und vergangen in verschiedenen Gelb- und Brauntönen. „Aus Sicht des Gartens hat sich der klimatische Wandel in den letzten zwanzig Jahren schnell und deutlich vollzogen“, erklärt Anthony McGrath. Die Extreme nehmen zu, für diese Breiten neuartige Schädlinge und Krankheiten tauchen auf, dafür schwinden Vogelarten. „Wir reagierten also darauf, indem wir den Garten so biologisch wie möglich gestalteten, weniger mähen und Wildblumen fördern. Hinzu kommen Pflanzen, die in einem biologischen Garten und bei extremen Witterungsbedingungen robuster sind. Insgesamt versuchen wir, den Bedürfnissen der Pflanzen mehr Aufmerksamkeit zu widmen.“

Im Sommer ein Traum: Ein Gartenbereich namens „Chequers“ setzt auf mehr Farben und eine imposante Rosensammlung.
Im Sommer ein Traum: Ein Gartenbereich namens „Chequers“ setzt auf mehr Farben und eine imposante Rosensammlung.

Im Sommer blüht auch ein anderer Gartenraum auf, in dem Rosen im Mittelpunkt stehen, genauer über 400 verschiedene Arten und Sorten. Wenn neben aller Akkuratesse in der Gestaltung auch viktorianische Romantik à la Laura Ashley oder Cottagegarten-Idylle wie bei Rosamunde Pilcher eine Rolle spielen, dann ist es in diesem Bereich, in dem Rosen aus dem Hause David Austin oder Klassiker wie die Essig-Rose ’Tus­cany superb‘ (1837) und ’Charles de Mills‘ (1746), die Kletterrose ’Mme Alfred Carrière‘ (1879) und eine duftende Damaszenerrose wie ’Rose de Resht‘ (1950) zu finden sind.

Town Place Garden ist so präzise und akkurat angelegt wie ein Schweizer Uhrwerk. Seine durchkomponierte Schönheit präsentiert er besonders im Sommer. Seit mehr als 30 Jahren meist zur schönsten Blüte im Juni und Juli öffnen die McGraths ihr Anwesen anlässlich der Offenen Gärten, dem „National Garden Scheme“. Es wurde 1927 mit dem Ziel gegründet, Gärten von besonderer Qualität und vielschichtigem Charakter für wohltätige Zwecke zu öffnen. Ein Ziel, das dieser Garten spielend erreicht.


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