Grüne Welle

Text von PETER HERMES, Fotos: PETER HERMES und JACOB von MANTEUFFEL
Bis zum Horizont: In China sind die größten Algenfarmen der Welt entstanden - mit riesigen Anbauflächen und schier endlosen Reihen von Algenleinen.

29.11.2018 · Wie kann die wachsende Weltbevölkerung künftig umweltverträglich ernährt werden? Fachleute meinen: durch Meeresalgen.

S chneidend kalter Wind weht an einem Frühlingstag über die kärglich bewachsene Insel Frøya. Die Wasser des Golfstroms halten die Fjorde an der norwegischen Küste den Winter über eisfrei, in diesem März aber liegt das Land noch unter einer dicken Schnee- und Eisschicht. Vom wolkenlosen Himmel strahlt die Sonne aufs schäumende Meer. Auf dem Wasser sind Lachsfarmen und Arbeitsboote zu erkennen, Postboote fahren an der Küstenlinie entlang. Typisch Norwegen.

Unter der Wasseroberfläche, nur durch wippende orangefarbene Bojen erkennbar, ist eine Meeresfarm verborgen. Keine Farm für Zuchtlachse, sondern für einen vielversprechenden pflanzlichen Rohstoff, der eine wichtige Rolle spielen soll bei der Transformation unserer Ernährung und Energiegewinnung: Meeresalgen. Genauer: Zucker- und Flügeltang.

In einem aktuellen Bericht über Fischfang und Aquakulturen skizziert die Welternährungsorganisation (FAO), eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die Bedeutung der Ozeane für die menschliche Ernährung. Schon heute garantieren demnach Lebensmittel aus dem Meer die Ernährungssicherheit für zehn Prozent der Weltbevölkerung. Nach Ansicht der Fachleute wird den Ozeanen in Zukunft eine noch größere Rolle für die Lebensmittelproduktion zukommen. Die Weltbevölkerung wächst, und die Essgewohnheiten in den aufstrebenden Ländern verändern sich. Der größere Nahrungsmittelbedarf kann kaum allein dadurch gestillt werden, dass man zusätzliche Agrarflächen urbar macht oder die Landwirtschaft intensiviert. Zudem werden Nahrungsmittel auch zur Energieerzeugung genutzt. So wächst der Druck, der auf den verfügbaren Ressourcen lastet.

Von der intensiven Landwirtschaft werden zugleich eine hohe Produktion und ein schonender Umgang mit der Natur gefordert. Die Landwirte sollen Düngemittel angepasst einsetzen, Schädlinge richtig bekämpfen, die natürliche Bodenfruchtbarkeit durch die richtigen Bearbeitungstechniken erhalten und nicht zuletzt das Klima und die Biodiversität schützen. Das klappt oft nicht. Immer noch gelangen vielerorts hohe Mengen Nährstoffe in die Ökosysteme. Darunter leiden Artenvielfalt und Bodenfruchtbarkeit. Die Emissionen klimaschädlicher Gase aus der Landwirtschaft sind teils enorm. Gründe genug, um neue, umweltschonende Wege zur Lebensmittelerzeugung zu erschließen.

Algenzucht im großen Maßstab ist eine Wissenschaft für sich. Ohne Hilfe aus dem Labor ist es schwer, wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Hier kommen die Meerespflanzen vor der norwegischen Insel Frøya ins Spiel. Sie führen uns zurück in die Urzeit unseres Planeten, als sich im Meer die ersten Photosynthese treibenden Organismen entfalteten. In den Weltmeeren existiert eine enorme Vielfalt an Algen, von mikroskopisch kleinen Kieselalgen bis zu Seetang von mehr als 60 Metern Länge. Seit dem Auftreten der ersten Algen vor mehr als zwei Milliarden Jahren ist eine breite genetische Diversität entstanden.

Die Meeresalgen, die für Aquakulturen geeignet sind, werden im Allgemeinen als Makroalgen bezeichnet. Sie wachsen in weiter oben gelegenen Schichten des Meers, in die Licht gelangt, auf steinigem oder anderem festen Untergrund. Makro-Algen können nicht wie Landpflanzen in Wurzeln, Sprossachsen und Blätter unterteilt werden. Ihr Vegetationskörper heißt Thallus („sprossender Zweig“). Es gibt braune, rote und grüne Meeresalgen, von denen sich einige für den menschlichen Verzehr und den Anbau eignen. In Europa werden vor allem zwei braune Algenarten kultiviert: Zuckertang (Saccharina latissima) und Flügeltang (Alaria esculenta). Die Algenfarm auf der Insel Frøya an der Mündung des Trondheim-Fjords wird von dem norwegischen Unternehmen Seaweed Energy Solutions (SES) betrieben.

Kaia Kjølbo Rød sieht im Algenanbau eine Chance für die Zukunft.

Kaia Kjølbo Rød, verantwortlich für das Algenzuchtprogramm von SES, hat sich als Meeresbiologin gegen eine Tätigkeit in der Lachsindustrie entschieden, in der viele ehemalige Kommilitonen arbeiten. „Anfangs war ich fasziniert von der Idee, dass man mit Meeresalgen Ressourcen nutzen kann, die sonst im Meer verlorengingen“, sagt sie. „Nach einigen Jahren im Unternehmen wurde mir bewusst, dass wir hier Teil einer Entwicklung sind, die eine neue Industrie nach Europa bringt.“


Da die Algen im Meer kultiviert werden, benötigt die Algenzucht weder Landflächen noch Süßwasserressourcen. Auch Düngemittel sind nicht nötig, da in vielen Meeresregionen genug Nährstoffe vorhanden sind. Deshalb gehört der Algenanbau zu den nachhaltigsten Arten der Pflanzenkultivierung. Aber können Meeresalgen tatsächlich wichtig werden für die globale Nahrungsmittelproduktion?


Viele Küstenbewohner ernähren sich schon lange von Meeresalgen. Ob in der Bretagne, in Japan oder an der südamerikanischen Pazifikküste: Vielerorts finden sich historische Spuren des Konsums. Zwar besteht eine frisch geerntete Alge bis zu 90 Prozent aus eingelagertem Meerwasser. Die nach der Trocknung zurückbleibende Biomasse aber hat es in sich: Meeresalgen enthalten viele wichtige Proteine, Minerale, Ballaststoffe, Fettsäuren.


Die ausreichende Aufnahme dieser Mikronährstoffe ist auch im Kampf gegen den Hunger von Bedeutung. Besonders in Ländern mit geringem Einkommen bedroht die Unterversorgung mit Mikronährstoffen die Gesundheit und Entwicklung von Kindern und Schwangeren. Die Weltgesundheitsorganisation nennt Jod, Vitamin A und Eisen als wichtigste Faktoren für eine gesunde kindliche Entwicklung. Meeresalgen verfügen über diese drei Inhaltsstoffe. Von ihrem Verzehr könnten nicht nur Haushalte mit eigener Algenproduktion oder direktem Zugang zu frischen Meeresalgen profitieren. Getrocknet sind Algen lange haltbar, leicht zu transportieren und einfach in die tägliche Kost zu integrieren.


„Nach einigen Jahren im Unternehmen wurde mir bewusst, dass wir hier Teil einer Entwicklung sind, die eine neue Industrie nach Europa bringt.“
KAIA KJØLBO

Bevor Algen in Europa zum Erfolg werden können, müssen nach Angaben von Kaia Rød noch zwei Hürden überwunden werden. „Wir müssen größere Märkte für Algenprodukte aufbauen und durch den Einsatz von Maschinen in der Kultivierung die Kosten senken.“ Vor allem automatische Verfahren zum Ausbringen der Saatleinen und zur Ernte sind für das Unternehmen SES wichtig.

Algenzucht ist mehr als Leinen ins Meerwasser zu hängen ...
... und abzuwarten und die Pflanzen dann zu ernten.

Algenzucht im großem Maßstab ist viel komplexer, als Leinen ins Meerwasser zu hängen, abzuwarten und die Pflanzen dann zu ernten. Das erkennt man im Labor von SES in Trondheim, das vor allem als Aufzuchtstation der Algensetzlinge dient. Im ersten Raum treiben ausgewachsene Zuckertang-Algen in weißen Plastikbottichen mit direkt aus dem Fjord entnommenem Tiefenwasser auf und ab. „Das hier sind unsere Mutterpflanzen“, sagt Rød. „Da sie eigentlich nur im Oktober Sporen bilden, manipulieren wir den natürlichen Lebenszyklus, indem wir über die Beleuchtung herbstliche Tageslängen simulieren und die Wassertemperatur konstant bei sieben Grad halten. So können wir in unseren Tanks das ganze Jahr über Sporen erzeugen.“

Danach werden die Sporen aus den Mutterpflanzen extrahiert und in Glaskolben gefüllt. In einem mit Rotlicht ausgeleuchteten Raum reifen die männlichen und weiblichen Sporen nicht weiter heran, sondern vermehren sich rein vegetativ. Um die Befruchtung auszulösen, werden die Sporen in einem letzten Schritt künstlichem Frühlingslicht ausgesetzt. Unter dem Mikroskop sind die einzelnen Setzlinge bald zu erkennen.

„Nach einiger Zeit können wir die Setzlinge in die Behälter mit den vorbereiteten Halteleinen geben, und nach einigen Wochen kann man mit bloßem Auge erkennen, wie die kleinen Algen die Leinen besiedeln.“ Sie werden dann zur Algenfarm vor Frøya transportiert und auf dem im Wasser fest installierten Haltesystem ausgebracht. In den nördlichen Breiten kann das zwischen September und Oktober geschehen. Nach dem Überwintern im Wasser wird schon im April und Mai des nächsten Jahrs geerntet.

Algenzucht im großen Maßstab ist eine Wissenschaft für sich. Ohne Hilfe aus dem Labor ist es schwer, wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Olavur Gregersen, Geschäftsführer von Ocean Rainforest auf den Färöer, ist ein Pionier des marinen Industriezweigs. Als er vor zehn Jahren seine Tätigkeit als Unternehmensberater zurückfuhr und sein Unternehmen gründete, betrat er Neuland. Als alteingesessener Färinger wuchs er mit und auf dem Ozean auf und arbeitete mit Fischern und Lachszüchtern. Als er eines Tages beauftragt wurde, die Machbarkeit der Algenzucht auf den Färöer zu evaluieren, wurde er neugierig. In einem vom Meer umgebenen Land mit Schafsweiden und steil abfallenden Klippen ist der Anbau von Getreide und Gemüse mühselig. Nutzpflanzen in den kristallklaren Fjorden der Inselgruppe anzubauen erschien Gregersen daher einleuchtend. „Ich bin Geschäftsmann, kein Meeresbiologe. Als ich mich vor zehn Jahren entschloss, voll in die Algenzucht einzusteigen, war das natürlich riskant.“


„Ich glaube fest daran, dass Algen exzellente Chancen haben, die steigende globale Nachfrage nach nachhaltiger Biomasse zu befriedigen“
OLAVUR GREGERSEN

Gregersen erstellte einen Geschäftsplan für einen Zeitraum von 25 Jahren. „Nach zehn Jahren sind wir jetzt an dem Punkt angekommen, an dem ich sagen kann, dass ich nach weiteren zehn Jahren eine lukrative Algenfarm betreiben werde, die sich selbst trägt.“ Zunächst will das Unternehmen vor allem Lebensmittel- und Futtermittelmärkte beliefern. In ferner Zukunft hofft Gregersen, seinen Rohstoff auch an die Verpackungsindustrie und die Textilbranche zu verkaufen.

Olavur Gregersen ist Geschäftsführer von Ocean Rainforest.

Die Bedingungen für die Algenzucht auf den Färöer sind ideal. Die Inseln zwischen Island und der Westküste Norwegens liegen inmitten des Golfstroms. Für die Algen bedeutet das: perfekte Wassertemperaturen und ausreichende Versorgung mit Nährstoffen. Die schnell länger werdenden Tage im Frühjahr bieten den Pflanzen genügend Licht, das aufgrund des klaren Wassers tief ins Meer dringt. Bei ruhiger See bewirtschaftet Gregersen mit einem Skipper und einer Mitarbeiterin zwei Anbauflächen im Norden des Landes, nahe der Insel Eysturoy. Auf der Fahrt durch den Fjord mit dem Arbeitsboot zur weiter draußen gelegenen Algenfarm erklärt Gregersen die Besonderheit der Anbaufläche: „Es ist ein exponiertes Anbausystem. Wir haben es hier mit Wellen zu tun, bei denen zwischen Wellenkamm und Wellental zwölf Meter liegen können.“ Systeme zu entwickeln, die solchen Naturkräften trotzen, sei unerlässlich. „Wenn wir mit Algen wirklich andere Produkte aus bestehenden fossilen Produktionssystemen ersetzen und großflächig Lebensmittel produzieren wollen, müssen wir die Algenzucht in großem Maßstab betreiben. Dafür müssen wir raus auf die offene See, weg von den stark genutzten Küstenabschnitten.“


Mittlerweile werden bei Ocean Rainforest Meeresalgen auf 20 Kilometer langen Leinen angebaut. „Ich glaube fest daran, dass Algen exzellente Chancen haben, die steigende globale Nachfrage nach nachhaltiger Biomasse zu befriedigen“, sagt Gregersen. „Mit Algen können wir etwas verändern.“

Im globalen Vergleich sind die Algenernten in Europa immer noch überschaubar. Wie eine Industrie aussehen kann, die Millionen Tonnen frische Algen produziert, zeigt eine Region, in der Meeresalgen seit Jahrhunderten in Schalen landen. In Qingdao, einer chinesischen Küstenstadt mit vier Millionen Einwohnern am Gelben Meer, hat sich um den historischen Stadtkern ein wichtiges Hafen- und Industriezentrum entwickelt, dessen Wolkenkratzer sich nachts im Meerwasser spiegeln. Qingdao liegt in der Provinz Shandong, dort wird in den größten Algenfarmen der Welt die Kombu-Alge (Saccharina japonica) angebaut, das asiatische Pendant zum europäischen Zuckertang.


„Zur Zeit werden sieben Algenarten entlang der chinesischen Küste kultiviert, davon vier überwiegend als Nahrungsmittel für Menschen, der Rest als Futtermittel und für andere industrielle Prozesse.“
SHAOJUN PANG

Asien ist nicht nur die größte Anbauregion von Meeresalgen in Aquakulturen, sondern auch der größte Absatzmarkt von Algen als Lebensmittel. Schon am ersten Morgen in Qingdao wird man damit konfrontiert - in der Frühstückssuppe treiben Algenstreifen. Durch das Kochen hat die Alge ihren typischen Eigengeschmack auf die Suppe übertragen, die ein angenehmes Meerwasseraroma verströmt. Algen sind umami, eine fünfte Geschmacksrichtung, die sich weder als sauer, salzig, bitter oder süß beschreiben lässt. Die von Natur aus glutamatreichen Meeresalgen dienen in vielen asiatischen Gerichten als natürliche Geschmacksverstärker.

Der chinesische Wissenschaftler Shaojun Pang erforschte den Algenanbau intensiv.

Shaojun Pang, Leiter der Meeresalgen-Forschung der Chinesischen Akademie für Wissenschaften in Qingdao, kommt im blauen Trainingsanzug und mit weißem Handtuch um den Hals vom Basketballspiel mit Studenten. Nach der Promotion in Deutschland kehrte der Wissenschaftler vor 15 Jahren nach Qingdao zurück. Als junger Forscher begann er, am Institut ein Programm zur Entwicklung neuer Algensorten für Aquakulturen zu initiieren. Mittlerweile hat die Abteilung knapp 20 Mitarbeiter - und durch Kreuzung drei neue Kultursorten entwickelt.


Der Algenanbau sei in China weit verbreitet, sagt Pang. „Zur Zeit werden sieben Algenarten entlang der chinesischen Küste kultiviert, davon vier überwiegend als Nahrungsmittel für Menschen, der Rest als Futtermittel und für andere industrielle Prozesse.“ Seine Forschung konzentriert sich darauf, die Qualität der angebauten Meeresalgen zu verbessern, durch neu gezüchtete Sorten, die höhere Erträge, bessere Lebensmitteleigenschaften und höhere Resistenzen aufweisen. Die Nachfrage nach Lebensmittelalgen ist enorm: 2016 produzierte China 14 Millionen Tonnen frische Meeresalgen, die fast ganz vom heimischen Markt geschluckt wurden.


In Rongcheng, einer kleinen Küstenstadt am nordöstlichen Zipfel von Shandong, sind schon Anfang April, vor Beginn der Haupterntezeit, Geschäftsleute aus dem ganzen Land eingetroffen, um sich einen Teil der Ernte zu sichern. Durch den Anbau der Kombu-Alge sind in Rongcheng aus ehemaligen Fischern Millionäre geworden. Dabei setzten die Algenfarmer auf eine Kombination des Algenanbaus mit der Zucht von Krustentieren und Muscheln im selben Anbausystem. Diese Wirtschaftsform, als integrierte multitrophische Aquakultur bezeichnet, ist in Sachen Nachhaltigkeit ein Vorbild für Aquakultursysteme auf der ganzen Welt. Mit bis zu 3000 Hektar Anbaufläche sind einige der Algenfarmen leicht auf Satellitenbildern zu erkennen.

Ihre Ausdehnung lässt sich bei einer Fahrt auf einem Holzkahn erahnen, der durch schier endlose Reihen von Algenleinen und gläsernen Schwimmbojen tuckert. Bis zum Horizont erstrecken sich die in rechteckige Segmente unterteilten Anbauflächen, die gerade genug Abstand zueinander aufweisen, dass Wartungsboote und die zur Ernte genutzten Barken Platz zur Durchfahrt haben.

Algen sind als Nahrung in China weit verbreitet: Ihr Geschmack unterscheidet sich von den uns bekannten Richtungen süß, sauer, scharf und bitter.

Die Anbaufläche ist die wichtigste Ressource der Algenbauern. „In Rongcheng treffen das Gelbe Meer und das Bohai-Meer zusammen“, sagt Pang. „Strömung, Wassertemperatur, Lichtdurchlässigkeit und Nährstoffe sind ideal für das Wachstum von Kombu.“ Der Professor forscht in Zusammenarbeit mit den Algenbauern. Er ist auf ihr Wissen und ihre Erfahrung angewiesen, und auch sie profitieren von der Kooperation: Die vom Meeresalgen-Institut entwickelten Kultursorten werden bereitwillig angebaut, da sie höhere Erträge und bessere Qualität versprechen.

Doch wie kann sichergestellt werden, dass die Algen keine Schadstoffe aus dem Meerwasser aufnehmen und einlagern? „Das wichtigste Qualitätsmerkmal einer kultivierten Meeresalge ist der Ort des Anbaus mit der dazugehörigen Wasserqualität“, sagt Pang. In China wird die Qualität der Küstengewässer von staatlicher Seite regelmäßig bewertet, die Ergebnisse der Gutachten werden veröffentlicht. „Der Großteil der Algen wird als menschliches Nahrungsmittel verwendet“, sagt Pang. „Eine zu hohe Konzentration von Schadstoffen in den Endprodukten würde der Markt nicht akzeptieren.“ Andererseits ist mit dem Aufnahmevermögen der Meeresalgen auch ein ökologisch vorteilhafter Aspekt der Algenkultivierung verbunden: Meeresalgen benötigen wie alle Pflanzen für ihr Wachstum Nährstoffe, allen voran Stickstoff und Phosphor. Sie liegen im Meerwasser natürlicherweise vor, ihre Konzentration ist jedoch durch menschliches Einwirken stark gestiegen. Vor allem Küstenregionen, die wegen der intensiven Landwirtschaft im Landesinneren dem Wasser viele Nährstoffe zuführen, sind von einer regelrechten Überdüngung der aquatischen Ökosysteme betroffen.


„Das wichtigste Qualitätsmerkmal einer kultivierten Meeresalge ist der Ort des Anbaus mit der dazugehörigen Wasserqualität“
SHAOJUN PANG

Eine übermäßige Nährstoffzufuhr kann massives Wachstum von Mikroalgen fördern, deren anschließende Zersetzung zur Sauerstoffverarmung des Wassers und schließlich zum Kollaps des marinen Lebens führen kann. Auch in der Ostsee gibt es solche „Todeszonen“. Werden im Meer großflächig Algen angebaut, nehmen die Pflanzen die Nährstoffe auf und wirken der Überdüngung entgegen. Mit der Ernte der Biomasse gelangen die Nährstoffe zurück ans Land und helfen, den Nährstoffkreislauf zu schließen.

Im Hafen von Rongcheng landen die von der Ernte tief liegenden Holzbarken an. Das nasse Grün wird auf kleine Traktoren verladen. Nach kurzem Transport werden die Algen zur Trocknung auf kahlen Brachflächen ausgebreitet. Von Hand werden die Algen verteilt und gewendet. Der Algenanbau in China ist arbeitsintensiv. Von der Vorbereitung der Setzlinge bis zum Endprodukt gehen die Pflanzen durch viele Hände. Jede Alge wird einzeln auf die Halteleine im Meer gesetzt, geerntet und getrocknet - bei der ungeheuren Größe der Farmen kaum vorstellbar. „Vor allem zur Erntezeit, wenn riesige Mengen Algen in kurzer Zeit geerntet werden müssen, brauchen wir viele Arbeitskräfte“, sagt Pang. „Die Jüngeren wollen diese Arbeit nicht mehr machen.“

Das heißt: Ohne automatische Verfahren zum Bepflanzen der Leinen mit Setzlingen, zur Ernte und für die Weiterverarbeitung wird der Algenanbau in China künftig wohl nur über höhere Marktpreise betrieben werden können.

Immer mehr Länder investieren in den Anbau von Algen.

In Südkorea sind die ersten Schritte zur Mechanisierung bereits getan. Dort greifen überlieferte Anbautechniken und der Einsatz moderner Maschinen ineinander. In Südkorea wird ein Großteil der auf der Welt verkauften Nori-Algen (Pyropia) angebaut, die in Europa vor allem als Algenplatten zum Einrollen von Sushi bekannt sind. Im Land selbst werden kleine Nori-Portionen täglich mit Reis verzehrt, ob beim Frühstück oder als Beilage zu anderen Gerichten. Nori wird in Südkorea von Kleinbauern angebaut, häufig von Familien, die Algen auf Netzen in der Gezeitenzone der Küsten züchten.

Sie beziehen ihre Jungpflanzen von Unternehmen, die sich auf die Aufzucht von Nori-Setzlingen spezialisiert haben. Nach der Extraktion von Samen aus erwachsenen Pflanzen im Labor werden die Samen in künstlichen Meerwasserbassins auf ausgelegte Betten leerer Austernschalen gegeben. Die Samen infiltrieren die Perlmuttschicht der Austern und wachsen zu Algensporen heran. Die Austernschalen werden samt Sporen in Säcken auf die Kultivierungsnetze ins offene Meer gebracht, wo die Sporen auf die Netze übersiedeln und zu Algen heranwachsen. Sobald die Meerwassertemperatur im November sinkt, können die Nori-Algen bis in den Mai darauf monatlich geerntet werden, indem jeweils der untere Teil der Alge mit Erntebooten abgeschnitten wird.

Die geerntete Algenmasse wird an verarbeitende Unternehmen weitergegeben. Hauptabnehmer des in Südkorea produzierten Rohstoffs sind Japan, die Vereinigten Staaten, China und Thailand. Vor allem in den Vereinigten Staaten werden südkoreanische Algenprodukte in Form von gesunden Snacks immer beliebter. Heute konkurrieren die Algenprodukte mit Thunfisch um den zweiten Platz auf der Fischerei-Exportliste Südkoreas. Das Geschäftsmodell mit Mechanisierung und einträglicher Wertschöpfungskette durch kleinbäuerliche Produktion könnte zum Vorbild für andere Länder werden.

Getrocknet sind Algen lange haltbar, leicht zu transportieren.

Auch in Indonesien, einem der bevölkerungsreichsten Staaten der Erde, sind Algenfarmen seit einiger Zeit stark im Kommen. In den vergangenen 15 Jahren hat sich dort ein dynamischer Wirtschaftszweig um die Produktion von tropischen Rotalgen (vor allem Kappaphycus alvarezii) entwickelt. Mittlerweile ist das Land hinter China zweitgrößter Produzent mariner pflanzlicher Biomasse. Ein Drittel der auf der ganzen Welt produzierten Algen stammt aus dem Archipel-Staat.

Die örtlichen Algenarten, die an die tropischen Bedingungen angepasst sind, werden dort mit einfachen Produktionsmethoden angebaut, beispielsweise indem in seichten Lagunenbereichen Holzpfähle aufgestellt werden. An den Leinen, die zwischen die Pfähle gespannt sind, werden in bestimmten Abständen kleine Algenstücke befestigt. Unter günstigen Bedingungen kann sich in 20 bis 40 Tagen das Algengewicht jedes Setzlings verzehnfachen. Die Kultivierung im seichten Wasser hat den Vorteil, dass man ohne große Boote ernten kann. Die Algen können aber auch in tieferem Wasser auf schwimmenden Leinen oder Flößen kultiviert werden.

Nicht nur die Umwelt profitiert von dem wachsenden Sektor. Knapp 200.000 Kleinbauern erarbeiten sich mit der Algenzucht in Indonesien ein Auskommen über der Armutsgrenze. Erfahrene Algenbauern können bei acht Ernten im Jahr mit der getrockneten Biomasse bis zu 2000 Dollar verdienen. Auch wenn die Rotalgen überwiegend für die Produktion von Agar, einem pflanzlichen Geliermittel, verwendet werden, landet ein Teil der Ernte auf örtlichen Lebensmittelmärkten. Als Veggie-Beilage zu Gerichten oder eingearbeitet in Algen-Donuts sind die Pflanzen aus dem Meer beliebt geworden. Auch auf den Philippinen, in Malaysia, Tansania, Kenia und Madagaskar werden mittlerweile tropische Rotalgen angebaut.

Die Kultivierung im seichten Wasser hat den Vorteil, dass man ohne große Boote ernten kann.

Der neue Wirtschaftszweig hat sogar Sylt erreicht. Dort schaut der emeritierte Professor Klaus Lüning durchs Wohnzimmerfenster seines reetgedeckten Backsteinhauses auf seinen Garten, in dem Algen auf Wäscheleinen in Wind und Sonne trocknen. Lüning hat sich jahrzehntelang mit den Pflanzen des Meeres beschäftigt und will nun, nach seiner Pensionierung, den Nutzen von Meeresalgen in Deutschland bekanntmachen. Er hat selbst viel mit Algen experimentiert und vertreibt sie über das von ihm gegründete Unternehmen Sylter Algenfarm in Deutschland. „Es gibt generell ein gestiegenes Interesse an Pflanzenmaterial“, sagt Lüning. Vor allem die Vielfalt von Makroalgen und die interessanten chemischen Zusammensetzungen machten die Pflanzen so spannend. Deshalb seien Meeresalgen vor allem als funktionales Lebensmittel interessant.

Sind Algen also mehr als ein kurzlebiger Ernährungstrend? Gut möglich, findet Lüning. Ähnlich wie die Nori-Alge durch Sushi auf der ganzen Welt verbreitet wurde, könnten auch andere Algenarten ihren Platz auf den Speisekarten finden. „Die Menschen sind sehr neugierig“, sagt Lüning. „Sobald es eine neue essbare Pflanze gibt, wird sie auch gegessen. Aber das benötigt Zeit.“

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