Mysteriöse Großbuchstaben :
Zar Ivo und der Zauberer von Oz

Von Gerald Franz
Lesezeit: 7 Min.
Der Charme des Maroden: Serbiens Holywood ist nicht ganz so glamourös wie das amerikanische Pendant.
Der Schriftzug Hollywood thront über Los Angeles, das Wort Holywood erstrahlt auf einem Hügel in der tiefsten Provinz Serbiens. Ist es das Original oder eine Fälschung? Und wer kam auf die Idee, die monumentalen Buchstaben in die Balkanwildnis zu rammen?

Wenn man bei Ljig südwestlich von Belgrad die Autobahn A2 verlässt und die Magistrale 22 nach Südosten nimmt, kommt man nach Holywood. Man kann es nicht verfehlen: Der riesige Schriftzug aus eckigen, weißen Metallbuchstaben dominiert das Tal, nachts wird er angestrahlt. Doch wie kommen die acht Buchstaben hierher? Und was haben sie mit den neun Buchstaben aus Los Angeles gemein?

Weit und breit ist niemand zu sehen, der uns das erklären könnte. Wir stellen unser Auto auf einem leeren Parkplatz ab, der von einem geschlossenen Restaurant und einem ebenfalls geschlossenen Töpferwarenverkauf gesäumt wird. Dann folgen wir einem Schild mit der Aufschrift „Srpski Holywood“, das uns den Weg nach Serbisch-Holywood weist. Beim Hinaufsteigen des Waldweges kommt uns lediglich ein Kleinwagen mit italienischem Kennzeichen entgegen. Dafür stehen blecherne Figuren am Wegesrand: ein lachender Ritter mit langer Nase, eine junge Frau mit Flügeln und Krone neben einem den Weg überspannenden Regenbogen. Schließlich kündigt uns ein weiteres Schild an, dass wir uns im Land des Zauberers von Oz befinden. Es wird immer mysteriöser, lange bevor wir die Buchstaben erreicht haben.

Ein gelbes U-Boot am Wegesrand

Besonders zauberhaft wirken die Blechkameraden allerdings nicht. Sie stammen, wie wir später lernen werden, von demselben Mann, der den Holywood-Schriftzug auf die Anhöhe gesetzt hat: Ivan Jakovljević, dessen Künstler- oder Spitzname Zar Ivo lautet. Leider führt keine der beiden, seinen Namen enthaltenden Internetadressen zu einer funktionierenden Website, weder die auf einem Schild am Wegesrand noch die auf der Facebook-Seite von „Ivo Car“. Dieser scheint auf jeden Fall einen Sinn für die leichte Muse und das Positive zu haben: Den Wegesrand ziert nämlich auch ein umgekipptes Silo, das entfernt an eine Yellow Submarine erinnert und mit der sinngemäßen Aufschrift versehen ist: „Wenn dir alle Schiffe untergehen, mach daraus ein U-Boot, und weiter geht’s.“

Das Original, in strahlendem Weiß: der Hollywood-Schriftzug hoch über Los Angeles.
Das Original, in strahlendem Weiß: der Hollywood-Schriftzug hoch über Los Angeles.dpa

Weiter geht’s auf jeden Fall mit dem Aufstieg bis zu einer steil aufgeschütteten Rampe, bei der wir uns fragen, ob es der italienische Kleinwagen bis hier oben geschafft hat. Den Weg zu Fuß zurückzulegen war auf jeden Fall eine gute Idee. Hinter der Rampe erhebt sich ein riesiges und wiederum aus dünnem Blech ge­fertigtes Eingangsportal. Es ist unbesetzt, einen Geldschein stecken wir pflichtschuldig in einen Kasten. Das Hänsel-und-Gretel-Haus lassen wir links liegen, und auch verschiedene weitere Schilder, Hütten und sonstigen Schabernack am Ende des weiter ansteigenden Weges. Denn rechts wird plötzlich der Blick auf den riesigen Schriftzug frei, der den Spaziergang über nicht sichtbar gewesen war.

Kein Stechpalmenwald weit und breit

Eine interessante innere Unruhe macht sich bemerkbar. Wir wollen uns den meterhohen Buchstaben mit den eckigen Rändern sofort nähern, entfernen uns dann aber wieder von ihnen, um sie komplett von vorn und dann von der Seite in den Blick nehmen zu können. Wir umwandern sie, betrachten sowohl die weiße vordere als auch die rostige hintere Seite samt den dort verborgenen hölzernen Querstützen und suchen nach den Scheinwerfern, die nachts für die gespenstische Illumination sorgen. Es fällt uns nicht leicht, zu sagen, was den Reiz dieses Schriftzugs ausmacht. Schon seine schiere Größe sorgt dafür, dass er schwer zu fassen bleibt – und uns zugleich in seinen Bann schlägt.

Wir überlegen, ob wir vor einem klassischen Beispiel von Appropriation Art stehen, schließlich ist die Referenz gar zu offensichtlich. Oder handelt es sich etwa um appropriierte Appropriation Art? Bei der Namensgebung des späteren Stadtteils von Los Angeles Ende des 19. Jahrhunderts, so heißt es, ließ sich die Ehefrau eines Immobilienhändlers auch nur „inspirieren“ von einem Wort, das sie einmal gehört hatte: Einen Stechpalmenwald, was Hollywood wörtlich heißt, gab es in den Hügeln dort jedenfalls nicht. Dass 1987 für einen Papstbesuch in der Filmstadt für kurze Zeit der Hollywood-Schriftzug zu Holywood maskiert wurde, hat dagegen mit dem „Srpski Holywood“ sicher wenig zu tun. Dieser Zusatz findet sich am oberen Rand des ersten Buch­stabens. Was das soll, erschließt sich uns nicht, schließlich wissen wir, wo wir uns befinden. Auch ästhetisch wirkt die Kombination des kleinen, blau-weißen, wie nachträglich draufgeklatschten Schildes in kyrillischer Schrift mit den großen lateinischen Buchstaben nicht überzeugend. Man muss dem Schriftzug aber schon nahekommen, um diese Ergänzung überhaupt wahrnehmen zu können.

Tanzen wie Justin Bieber

Es ist schön hier oben auf der großen Wiese. Auf dem Kamm hinter dem Schriftzug recken die kahlen Bäume ihre knorrigen Äste in den Himmel, unten im Tal stechen ein paar versprengte rote Dächer aus dem Dunst, und unser Blick verliert sich in der Weite der bewaldeten Berge der Šumadija-Region, die das Wort Wald schon im Namen trägt. Ein etwas ratloses, aber auch entspanntes Gefühl macht sich breit. Wären wir ohne die acht großen Buchstaben hier hinaufgekommen? Sicher nicht. Lohnt es sich trotzdem? In jedem Fall. Was auch immer Zar Ivos Motivation war: Wenn Kunst die Menschen, auch im Wortsinne, bewegen soll, dann hat er das geschafft.

Ob er aber überhaupt Holywood als Kunstwerk, ob er sich selbst als Künstler sieht? Wir mögen daran zweifeln, wenn wir „Ivo Car“ auf seinem Youtube-Kanal immer wieder beim Autofahren zusehen oder Zeuge werden, wie er im Stile eines Justin Bieber durchs Wohnzimmer tanzt, einen Ferienflug antritt oder mit Kaubonbons eine Flasche Cola zum Überschäumen bringt. Aber wenn Kunst dadurch entstehen kann, dass ein Künstler einen Gegenstand im Stile des Readymade dazu erklärt – warum soll Kunst nicht auch entstehen, wenn der sie Schaffende vielleicht ein anderes Selbstbild hat?

Auf der Homepage der staatlichen Tourismusorganisation heißt es lediglich, Ivo Car habe mit dem Schriftzug Besucher in seine Heimat locken wollen. Wie auch immer: Wenn man den Erschaffer von Holywood auch von dieser Seite gesehen hat, versteht man eher, warum er es nicht bei der kuriosen Idee hat bewenden lassen, im serbischen Mittelgebirge ein paar monumentale Buchstaben in den Hang zu rammen, die einem das verstörende Gefühl geben, im falschen Film zu sein. Stattdessen hat er auch ein Sammelsurium an Schildern, Hütten, Märchenfiguren drumherum drapiert, sowie zahlreiche Selfie-Motive, als wäre alles nur ein Spaß – auch wenn es einer ironischen Note nicht entbehrt, dass die „Platform of Love“ sich nur wenige Meter von einem Stuhl entfernt befindet, der in eine überdimensionierte Zwille gespannt ist, mit der man den anderen symbolisch zum Mond schießen kann. Den Höhepunkt des angegliederten Themenparks soll wohl aber „die größte Schaukel Serbiens“ mit dem hochtrabenden Namen „Sky Swing“ darstellen.

Das Rätsel des unsichtbaren Festivals

Interessanter ist da etwas ein paar Meter unterhalb des Schriftzugs, das wir so ähnlich schon oft gesehen haben: ein riesiger Metallrahmen. Der „Rahmenbau“ in Kassel etwa, ein Überbleibsel der documenta 6, ist zwar ungleich aufwendiger gestaltet, doch auch sein Pendant im serbischen Mittelgebirge hat denselben Effekt: Wir können gar nicht anders, als uns so lange vor dem hohlen Viereck zu bewegen, bis wir das ideale Bild von der bergigen Talgegenseite gemacht haben. Im Nachhinein dämmert uns gleichwohl die Erkenntnis, dass es sich bei dem Rahmen wohl bloß um die Halterung für eine riesige Leinwand handelt. Denn in den Untiefen von Social Media ist von einem Filmfestival die Rede, das genau hier stattfinden soll. Ob es das noch gibt, bleibt aber unklar, denn auch diese Internetadresse funktioniert nicht mehr.

Kann etwas Kunst sein, nur weil wir es dafür gehalten haben? Ratlosigkeit, schon wieder, macht sich breit. Und dennoch: Der eiserne Rahmen hat die Aufmerksamkeit gebündelt, und es fallen uns jetzt Details am Horizont auf, die wir sonst vielleicht nicht bemerkt hätten, zum Beispiel eine Erhebung, etwas höher als die anderen und durch ihre düstere Färbung hervorstechend; und noch mehr durch ihre Form, die auffallend – oder sind wir schon zu sehr im Appropriation-Art-Modus? – an die des Matterhorns erinnert.

Ein martialisches Hinweisschild

Wie auch immer: Die Neugierde ist geweckt, am folgenden Tag geht es los, um die Erhebung namens Ostrvica auf der anderen Talseite zu besteigen. Die Fahrt geht durch den schmucklosen Ort Rudnik, der so heißt wie das lokale Gebirge. Das Wort bedeutet Mine, denn in den Bergen ringsum werden seit der Antike Metalle geschürft. Die Straße wird bald ziemlich schmal und das Auto, nach dem laut Karte letzten vorgelagerten Weiler, am Rand geparkt. Anscheinend haben wir alles richtig gemacht, denn schon nach wenigen Minuten zu Fuß weist ein etwas martialisches Hinweisschild den Weg: eine Motorsäge, die auf den zweiten Blick aus Holz zusammengezimmert und mit blauer und blutroter Farbe beschmiert wurde. Das Sägeblatt, auf dem Ostrvica steht, zeigt die Anhöhe hinauf.

Aller Mühen wert: Der Aufstieg wird mit einem grandiosen Ausblick in die Weite der serbischen Mittelgebirge belohnt.
Aller Mühen wert: Der Aufstieg wird mit einem grandiosen Ausblick in die Weite der serbischen Mittelgebirge belohnt.Gerald Franz

Wenn dieser vordergründig lächer­liche, 758 Meter hohe Berg uns etwas lehren möchte, so wird schnell klar, was das sein könnte: Demut. Sofort wird es steil, immerhin stützen den matschigen Untergrund noch eine Weile rudimentäre Stufen. Danach geht es ohne diese Hilfen weiter, unsere Hände fassen nach kahlen Zweigen. Es ist rutschig, und es ist anstrengend. Bäume gibt es weiter oben nur noch vereinzelt, auf dem nackten Fels des erloschenen Vulkans haben sie keine Chance. Einiges an Trittsicherheit ist jetzt gefragt, immerhin geben rot-weiße Punkte und Pfeile die Richtung vor. Für das letzte Stück auf den Gipfel wurde ein Metallkabel am Fels montiert samt einzelner Griffe. Es wird noch steiler, aus dem Wandern ist längst Klettern geworden, doch der immer fesselndere Ausblick auf die bläulichen Gebirgszüge mit ihren Nebelschwaden im diffusen Nachmittagslicht lässt uns nicht aufgeben. Und dann endlich ist es vollbracht, ein kleiner Trampelpfad läuft den Gipfelkamm entlang, den das Adrenalin uns noch heißt abzulaufen.

Aufstieg zum Matterhorn?

Die zweite Lehre erteilt uns der Berg auf dem Rückweg: dass man ihn be­stiegen, heißt nicht, dass man ihn bezwungen hat. Vor allem die Drahtseilpartie gestaltet sich hinunter deutlich mühsamer als hinauf, da wir nur rückwärts den nö­tigen Halt finden. Auch auf dem weniger steilen Felsabschnitt danach müssen wir uns sehr bremsen, um nicht auf dem feuchten und mit Flechten bewachsenen Untergrund auszurutschen. Endlich scheint der bewaldete untere Teil erreicht, doch dann ist da nur noch Gestrüpp, und kein erkennbarer Weg: Verlaufen! Einfach nur bergab gehen, reicht eben nicht. Äußerst widerwillig steigen wir wieder aufwärts, bis ein Pfeil auf ei­nem Felsen sichtbar wird, der in eine andere Richtung zeigt. Schließlich scheint es so gut wie vollbracht, als die klotzigen Stufen auftauchen. Doch ein Stein oder eine Wurzel unter dem Laub, und der Fuß knickt um, nur etwas zwar, aber schmerzhaft. Als die Motorsäge wieder diabolisch aufleuchtet, verstehen wir endlich deren Warnung: Wer hier hinauf will, darf nicht zimperlich sein.

Auf der Rückfahrt fühlen wir uns, als hätten wir tatsächlich die Besteigung des Matterhorns vollbracht. Auch der Schmerz im Knöchel ist verschwunden. Als irgendwann wieder die acht weißen Lettern auf der anderen Talseite schimmern, wird uns klar, dass sich der Kreis schließt. Und egal ob Ivo Car in erster Linie Künstler oder einfach jemand ist, der ein Ausrufezeichen in seiner Heimat aufstellen wollte: Wir müssen ihm danken. Denn wir sehen die Gegend jetzt mit anderen, verwunderten Augen.