Weinstein-Urteil :
Maß und MeToo

Alexander Haneke
Ein Kommentar von Alexander Haneke
Lesezeit: 1 Min.
Weinstein 2022 im Gerichtssaal in Los Angeles
Dass eines der Urteile gegen Harvey Weinstein aufgehoben wurde, ist hart für viele mutmaßlich betroffene Frauen. Aber die Entscheidung ist auch eine wichtige Erinnerung daran, dass der Rechtsstaat Maß halten muss.

Kein Zweifel, die Welle, die durch die Vorwürfe gegen Harvey Weinstein und durch die MeToo-Bewegung in Gang kam, war wichtig. Nur weil sich Frauen wechselseitig Mut machten, mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu gehen, wurde allen Seiten endgültig klar, dass sexueller Druck und Grenzüberschreitungen, vor allem, wenn sie in Machtstrukturen geschehen, kein Spiel mit Doppeldeutigkeiten sind, sondern eine Straftat. Und dass sich niemand gefallen lassen muss, was ihn innerlich abstößt.

Der Rechtsstaat darf sich nicht mittreiben lassen

Doch so wichtig diese Erkenntnis ist, so wichtig ist es, sich von der Dynamik einer solchen Bewegung nicht mitreißen zu lassen. Denn die Welle, die die MeToo-Veröffentlichungen entfachte, hatte zeitweise manche sicher geglaubte Überzeugung weggespült.

Das gilt für die Unschuldsvermutung wie für das Recht auf ein faires Verfahren – und es betrifft auch die Medien, in denen die Fälle genüsslich ausgeweidet wurden. Wo die Schuldigen längst gefunden scheinen, müssen sich Justiz und Presse besonders kritisch fragen, ob sie nicht schon Teil der Stimmungsmache sind.

Dass jetzt eines der Urteile gegen Harvey Weinstein aufgehoben wurde, ist hart für viele mutmaßlich betroffene Frauen – und es bedeutet keineswegs, dass er unschuldig ist. Aber es ist eine wichtige Erinnerung daran, dass der Rechtsstaat auch bei den schwersten Vorwürfen gegen einen Menschen Maß halten muss.