Wahlkampf ist für viele Politiker keine Fastenzeit. Schnittchen hier, Kuchen da. Bei Terminen im Stundentakt, in denen die Spitzenpolitiker ihrer Partei oft wie Stars gefeiert werden, geht die Waage schnell um ein paar Ziffern rauf.
Gut, wenn man selbstdiszipliniert ist. Schlecht, wenn man damit prahlt und das in der Öffentlichkeit gar nicht gut ankommt. Bei Torsten Albig, Wahlverlierer in Schleswig-Holstein, war eher Letzteres der Fall.
Ende April gab der Ministerpräsident der „Bunten“ ein Doppelinterview mit seiner Freundin. So erfuhr der Leser unter anderem, dass Albig gerade vom zehntägigen Heilfasten mit Bärbel Boy komme und dabei fünf Kilo abgenommen habe. Er verriet auch, dass das Experiment auf Langfristigkeit angelegt sei: „Mal eine Zeit lang nicht zu essen ist auch gut, um den Kopf freizubekommen und Essgewohnheiten zu überdenken. Seitdem essen wir gesünder.“
Im gesamten Interview geht es nur am Rande um Politik. Vielmehr verriet Albig, dass er seine Freundin bald heiraten wolle und welche Fehler er in seiner gescheiterten Ehe mit seiner Noch-Ehefrau Gabriele gemacht habe: „Irgendwann entwickelte sich mein Leben schneller als ihres. Wir hatten nur noch ganz wenige Momente, in denen wir uns auf Augenhöhe ausgetauscht haben.“
Angst um die Kinder statt um die Wähler
Seine Wähler und Mitarbeiter hatte Albig dennoch im Blick, wenn auch eher in persönlicher als in politischer Hinsicht. Auf die Frage, ob die ihm seine neue Liebe übel nehmen könnten, antwortete Albig: „Natürlich hatte ich diesen Gedanken. An meinem Erfolg als Ministerpräsident hängen ja viele andere Menschen. Aber vor allem war da die Angst, dass meine Kinder mich nicht mehr lieb haben würden.“
Zu guter Letzt kam auch Albigs Freundin Boy zu Wort. Die Beraterin wurde zu Martin Schulz’ Bart befragt und riet ihm, diesen „unbedingt dran zu lassen“. Schließlich sei das sein Markenzeichen, dass ihn „stets zugewandt und fröhlich“ aussehen lasse.
Wie Albigs Wähler das Interview fanden, lässt sich nur ableiten. Ein Indikator könnte der Zusammenhang von Erscheinungstermin des Interviews und Umfragewerten zur gleichen Zeit sein. Der Vergleich zeigt: Am 20. April konnten Albigs Wähler das Interview erstmals lesen, die SPD lag da bei 33 Prozent. Am 24. April, in der nächsten Umfrage nach dem Interview, rutschte Albigs SPD um drei Prozentpunkte ab. Hielt sich die SPD zuvor seit über einem Monat stabil in den Umfragen, waren es seitdem nur noch 30 Prozent. Die SPD konnte seitdem nicht mehr zulegen und Albig – laut dem vorläufigen Wahlergebnis – nur 26 Prozent der Wähler überzeugen.
Sofern der Zusammenhang stimmt, wäre das gerade wegen Albigs früherer Aufgabe pikant. So war der Ministerpräsident vor seiner Politikerlaufbahn Pressesprecher der Dresdner Bank sowie Kommunikationschef von Finanzminister Peer Steinbrück. Er sollte also wissen, was in der Öffentlichkeit gut ankommt – und was nicht.
Opposition sieht Zusammenhang mit dem schlechten Wahlergebnis
Albigs politische Gegner sehen einen Zusammenhang zwischen dem schlechten Ergebnis und dem Interview, so kurz vor der Wahl. So kritisierte der ehemalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen (CDU), Albigs schlechte Pressearbeit. „Das Interview in der ,Bunten‘ hat die Stimmung zerschlagen“, sagte Carstensen.
Ähnlich äußerte sich der Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck: „Die eigentlichen Aufreger sind eher: Welcher Politiker ist überheblich? Es gibt ein Interview des Ministerpräsidenten, wo er seine Trennungsgeschichte von seiner Familie breitgetreten hat – das haben viele Leute nicht als besonders klug empfunden.“
Torsten Albig wäre nicht der erste SPD-Politiker, den ein Interview in Bedrängnis gebracht hat. So ließ sich der damalige Verteidungsminister Rudolf Scharping (SPD) beim Baden in einem Pool auf Mallorca ablichten, während deutsche Soldaten kurz vor einem Einsatz auf dem Balkan standen. Er wurde dafür heftig kritisiert.
Ähnlich lief es für die FDP. Mitten im Hamburger Wahlkampf ließ sich deren Spitzenkandidatin Katja Suding 2015 unter dem Motto „Drei Engel für Christian (Lindner)“ ablichten und erntete dafür Spott.
Im hohen Norden gibt es allerdings auch Gegenbeispiele. Der CDU-Spitzenkandidat Daniel Günther verzichtet auf Homestorys und legt Wert darauf, keine Bilder seiner Familie veröffentlicht zu sehen. Auch Albigs Parteigenosse Olaf Scholz versprach einst: „Mit mir wird es keine Homestorys geben.“