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Deutschland SPD-NRW-Chef wirbt für GroKo

„Wir würden sogar einen Teil der Agenda-Reform korrigieren“

Die Angst des SPD-Chefs vor der Basis

Diesen Sonntag in Bonn wird es sich entscheiden, GroKo-Verhandlungen ja oder nein. Die Stimmung bei der SPD ist schlecht. Sollte Martin Schulz scheitern, halten viele seinen Rücktritt für unausweichlich.

Quelle: WELT/ Matthias Heinrich

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Michael Groschek, Chef der SPD in Nordrhein-Westfalen, macht sich für eine Koalition mit der Union stark. Er ermahnt seine Partei, zwischen Binnensicht und dem Bedürfnis der Bürger zu unterscheiden - und betont die Sondierungserfolge.

Als Landeschef der NRW-SPD hat sich Michael Groschek am längsten gegen eine große Koalition gewehrt. Jetzt wirbt er vehement für das Sondierungspapier und die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Der 61-jährige Oberhausener hat in seiner politischen Karriere zahlreiche Posten bekleidet. Der frühere Zeitsoldat mit der Ruhrpottschnauze ist Amtsnachfolger von Hannelore Kraft und muss nach der verlorenen Landtagswahl im Mai 2017 den mitgliederstärksten SPD-Landesverband durch die Krise führen.

WELT: Herr Groschek, sind Sie neidisch auf Ihren Sohn?

Michael Groschek: Ne, wieso?

WELT: Er kann als Juso die reine sozialdemokratische Lehre vertreten und gegen die große Koalition protestieren.

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Groschek: Ich finde es toll, dass mein Sohn bei den Jusos aktiv ist, und ich finde es sehr gut, dass unsere Jugendorganisation keine Schuhputzerclique ist wie bei anderen Parteien.

WELT: Sie selbst haben den schwereren Job. Sie werben für die große Koalition.

Groschek: Schwerer? Das weiß ich gar nicht, weil man auch ein mögliches Nein sehr gut begründen muss, und da fehlt mir manchmal die nachhaltige Begründung.

Nordrhein-Westfalens SPD-Chef Michael Groschek findet: "Das Sondierungsergebnis kann sich sehen lassen"
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Quelle: Marcus Simaitis

WELT: SPD-Parteichef Martin Schulz hatte zunächst eine große Koalition ausgeschlossen. Sie waren derselben Meinung und sagten, der Wählerauftrag heiße Opposition. Wie sehr bereuen Sie diese Aussage?

Groschek: Das war richtig, bezogen auf das Ergebnis der Bundestagswahl und die Situation am Wahlabend. Der Wählerauftrag war, dass eine neue Regierung gebildet wird. Diese neue Regierungsbildung ist krachend gescheitert. Frau Merkel hat das Jamaika-Schiff kentern lassen, die liberalen Leichtmatrosen sind von Bord gegangen.

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Der Bundespräsident hat anschließend klargestellt, dass die Parteien Neuwahlen nicht einfach auf einem Parteitag beschließen können. Die Verfassung hat dafür klare Regeln. Er hat die Parteien aufgefordert, miteinander über eine Regierungsbildung zu verhandeln.

Dann haben wir das diskutiert, und der SPD-Parteitag hat mit einer sehr breiten Mehrheit beschlossen, dass wir ergebnisoffen sondieren sollen. Über dieses Sondierungsergebnis wird jetzt lebendig diskutiert und am Sonntag abgestimmt.

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WELT: Machen Ihre früheren Aussagen es Ihnen nicht schwer, glaubwürdig für die große Koalition zu werben?

Groschek: Sie werden natürlich zitiert, aber ich halte das für völlig unzureichend als Begründung für ein Nein. Millionen Menschen im Land würden wissen wollen, warum man die zahlreichen Verbesserungen ihrer Lebenssituation durch ein Nein ablehnt.

Nicht umsonst werben Organisationen wie der Deutsche Gewerkschaftsbund und Einzelgewerkschaften oder etwa die Mietervereine von Köln und Düsseldorf offen für ein Ja, weil in dem Sondierungspaket so viel substanzielle Fortschritte sind.

WELT: In der NRW-SPD war die Abneigung gegen eine große Koalition bereits 2013 sehr groß. Diese Abneigung scheint noch weiter verbreitet zu sein. Wie wollen Sie die Stimmung drehen?

Groschek: Natürlich gibt es bei einigen eine ganz grundsätzliche politische Abneigung gegen eine große Koalition, aber durch die Diskussionen ist auch die Nachdenklichkeit bei vielen in unserer Partei gestiegen. Neben den großen Pokalen, die vermisst werden, wird auch gesehen, wie viele Medaillen sich in den Sondierungsergebnissen befinden.

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Wir würden sogar einen Teil der Agenda-Reform korrigieren. Arbeitnehmer, Rentner, Auszubildende, Studenten – all denen würde man die Siegermedaille verweigern.

WELT: Den Kritikern fehlt so eine Art Super-Cup, eine Trophäe, die für pure Sozialdemokratie steht, etwa die Bürgerversicherung?

Groschek: Als Fußballfan fehlt mir auch so ein Superpokal. Aber die SPD muss, was die Big Points angeht, sorgfältig unterscheiden zwischen ihrer Binnensicht und dem Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nach spürbaren Verbesserungen in ihrer individuellen Lebenssituation. Und da kann sich das Sondierungsergebnis sehen lassen.

Selbst bei der Steuerpolitik haben wir Erfolge. Das Soli-Konzept mit der Absenkung ist eins zu eins das der SPD, denn nur die „oberen Zehntausend“ würden den Soli entrichten. Die Abgeltungssteuer würde abgeschafft. Bei der Steuergerechtigkeit würden wir große Fortschritte erzielen, auch ohne Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Manchmal machen wir uns selbst das Leben schwer und suchen die Ursachen bei anderen.

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WELT: Warum trauen viele Parteimitglieder dieser Erfolgsbotschaft nicht?

Groschek: Weil viele bei uns ganz grundsätzliche Bauchschmerzen mit einer großen Koalition haben. 2017 war ein Jahr mit einigen schmerzhaften Wahlniederlagen. Wir haben im Saarland und in Schleswig-Holstein verloren und dann auch noch bei uns in Nordrhein-Westfalen. Drei Niederlagen, die aber mit der großen Koalition erst einmal nichts zu tun haben.

Trotzdem begannen da bei vielen die Bauchschmerzen, die noch gesteigert wurden durch das Katastrophenergebnis von 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl. Weil monokausale Erklärungen oft am nachhaltigsten sind, gilt die große Koalition als Projektionsfläche für alles Leid, das die Sozialdemokratie empfindet. Die große Koalition ist vielleicht an manchem Leid schuld, aber nicht an allem.

WELT: Kritiker befürchten, dass wichtige Projekte doch wieder auf die lange Bank geschoben werden.

Groschek: Das Gegenteil ist richtig. Käme es zu einer großen Koalition, wäre das eine Koalition der klaren Kante, denn nach zwei Jahren wird Zwischenbilanz gezogen, so wurde es bei den Sondierungen vereinbart. Da würde bewertet, was umgesetzt und in welchem Zustand die Koalition ist. Die Partei und die Öffentlichkeit würden ein Urteil sprechen, und das hätte Konsequenzen.

WELT: Welche Konsequenzen?

Groschek: Darüber würde ein SPD-Parteitag befinden. Klar ist: Die SPD darf nie wieder zu einem reinen Regierungssprecher in einer Koalition werden, sondern muss als Partei erkennbar bleiben.

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Quelle: WELT

WELT: Wäre ein vertrauensvollerer Umgang mit der Union hilfreich für Ihre GroKo-Mission?

Groschek: Vertrauen muss man sich erarbeiten, und die Union hat in der letzten Zeit mit zahlreichen politischen Fouls nicht unbedingt zur Vertrauensbildung beigetragen. Wir brauchen doch keine Liebesheirat, sondern anständige Arbeitsbeziehungen, um erfolgreiche Politik zu machen. Das erwarten die Bürgerinnen und Bürger von einer Regierung – zu Recht.

WELT: Wäre es leichter, für eine große Koalition zu werben, wenn Angela Merkel nicht mehr CDU-Vorsitzende wäre?

Groschek: Das weiß ich nicht. Wir müssten mit jeder oder jedem verhandeln, der den CDU-Vorsitz hat. Und ich möchte jetzt nicht über potenzielle Nachfolger von Angela Merkel sprechen. Das muss die Union mit sich klären.

WELT: Wie groß wäre der Spielraum in Koalitionsverhandlungen, dieses Sondierungspapier zu erweitern? Ginge es dann nur noch um Präzisierungen, wie die Union betont, oder um erweiterte Spielräume?

Groschek: Wenn es zu Verhandlungen kommt, werden es harte Verhandlungen, das ist doch klar. Verhandlungen sind dazu da, Spielräume zu erweitern. Das Sondierungspapier wird mit Sicherheit nicht der Koalitionsvertrag sein.

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WELT: Die Vorstände von mehreren SPD-Landesverbänden haben eine Vorabstimmung zum Sondierungspapier gemacht. Warum verzichten Sie in Nordrhein-Westfalen darauf?

Groschek: Wir sind davon überzeugt, dass unsere Delegierten keinen Fingerzeig des Vorstands brauchen. Das sind politisch erfahrene und mündige Bürger. Die Delegierten wissen, welche Konsequenzen eine Entscheidung hat und dass Mitbestimmung auch Mitverantwortung bedeutet.

WELT: Wagen Sie eine Prognose, wie der Parteitag am Sonntag ausgeht?

Groschek: Ich glaube, eine überzeugte Mehrheit wird Ja zu Koalitionsverhandlungen sagen.

WELT: Wie realistisch sind Neuwahlen?

Groschek: Wenn der Parteitag Nein sagen würde oder Koalitionsverhandlungen scheitern, käme es zu Neuwahlen.

WELT: Und eine Minderheitsregierung?

Groschek: Das ist ein staatstheoretisches Modell, für das es in einigen Ländern gute Beispiele gibt. Das auszuloten war ja Teil des Sondierungsauftrags unseres Parteitages. Jetzt ist klar: Mit dieser Kanzlerin und dieser CDU/CSU wird es das in Deutschland nicht geben. Die Alternative zu einer großen Koalition wären also Neuwahlen. Die muss man nicht fürchten, man sollte Neuwahlen aber auch nicht fahrlässig herbeiführen.

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