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Bahnverbindung Sylt - Hamburg

An ein Ende des Chaos glaubt kein Pendler mehr

Von Franz Wauschkuhn
Veröffentlicht am 11.02.2018Lesedauer: 5 Minuten
Zugausfälle und Verspätungen sind auf der Strecke Hamburg-Sylt zur Normalität geworden
Zugausfälle und Verspätungen sind auf der Strecke Hamburg-Sylt zur Normalität gewordenQuelle: dpa

Verspätungen, Zugausfälle, verstopfte Klos und verschlossene Türen: Seit die Deutsche Bahn die Bahnstrecke zwischen Sylt und Hamburg übernommen hat, herrscht Chaos. Pendler versetzt das in Wut - und in Gefahr.

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Die Männer und Frauen auf dem Bahnsteig klatschen Applaus. Punkt 8.50 Uhr hält endlich ein blau-gelb-weißer Zug in Friedrichstadt. „Ein Wunder“, sagt die junge Frau, die beim Einsteigen ihr frierendes Kind auf dem Arm hält. Das ist durchaus keine Ironie. Bei minus drei Grad hatten die 20 Pendler 70 Minuten auf den Regionalzug (RE 6) von Westerland nach Altona gewartet. Der Zug um 7. 39 Uhr war wieder einmal wegen einer „Betriebsstörung“ ausgefallen.

„Du spinnst, sagen mir die Kollegen. Das Chaos der Bahn ist für sie unvorstellbar“, meint der Polizist, der täglich zum Dienst nach Hamburg fährt. Die blinde Übersetzerin, die jeden zweiten Tag pendelt, hat ohnehin jeglichen Glauben an Besserung verloren. Der Psychiater, der als Gutachter täglich von der Nordsee nach Altona reist, bestärkt sie: „Die Bahn, die Politik in Berlin – sie lügen alle. Wir leben an der Westküste – wir sind der neue Osten.“

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Vormittags vereinbart der Mitarbeiter des Arbeitsamts Heide grundsätzlich keine Gesprächstermine mehr. Alles andere wäre va banque. „Neue Loks gibt’s nicht auf unserer Strecke. Das Geld braucht die Bahn für Stuttgart 21 und Bonuszahlungen für ihre Manager“, ergänzt der Polizist. Die Pendler kennen sich alle. Das Bahnchaos schmiedet zusammen.

Ob in Friedrichstadt, Bredstedt, Heide oder Itzehoe – bei allen Pendlern auf der Linie Hamburg–Westerland, der Marschbahn, ist der Ärger über die Unzuverlässigkeit des Deutsche-Bahn-Konzerns regelrecht in Wut umgeschlagen. Der Schlusssatz „Wir bitten um Entschuldigung“ auf dem elektronischen Laufband, wenn wieder der Ausfall eines planmäßigen Zuges oder die Verspätung um 40 Minuten verkündet werden, erntet nur noch Spott: „Die Bahn muss den Fahrplan abschaffen, dann sind alle Züge pünktlich.“

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Viele wünschen sich die NOB zurück

Mit dem Zugpersonal haben die Pendler nur noch Mitleid. Von den Sylttouristen müssen die Schaffnerinnen allerdings nach wie vor Tiraden des Ärgers ertragen. „Das waren noch Zeiten, als die NOB die Strecke bediente“, kommt so mancher Seufzer. Über 16 Jahre lang hatte die Nordostseebahn (NOB), eine Tochter des französischen Transdev-Konzerns, die Stecke Hamburg–Sylt und fünf weitere Strecken in Schleswig-Holstein bedient, ehe sich der Verkehrsausschuss des Kieler Landtags im Herbst 2015 für die Deutsche Bahn als neuen Streckenbetreiber entschied.

Sie versprach den Abgeordneten Service und Pünktlichkeit. Als im Januar 2017 jedoch ruchbar wurde, dass die Kupplungen der 90 ehemaligen NOB-Waggons korrosionsbedingt stillgelegt werden mussten, versprach der damalige Verkehrsminister Reinhard Meyer (SPD) schleunige Reparatur. „Der arme Kerl machte erst mal Bekanntschaft mit der Inkompetenz des Bahn-Konzerns“, sagen die Pendler.

Denn von nun an schaukelten die Marschbahnnutzer und Sylttouristen in muffigen, ausrangierten Wagen des „Volkseigenen Betriebs Waggonbau Dessau“ oder der Südostbayernbahn – Skihalter inklusive. Dass Türen häufig selbst von Athleten nicht zu öffnen sind und Omis nicht am Zielbahnhof aussteigen können, schien über Monate weder Politik noch die Vorstände im Berliner Bahnhochhaus zu stören.

Der Schaffner, das „arme Schwein“

Noch immer erzählen die Pendler vom „armen Schwein“. Das war jener Schaffner, der abends auf dem Bahnsteig zur Abfahrt pfiff, wegen hakender Waggontür aber nicht mehr einsteigen konnte und seinem Zug hinterdrein schauen musste.

Inzwischen weiß jedes Schulkind in Dithmarschen und Nordfriesland, dass sich die Notdurft nicht im Zug erledigen lässt. Die Klos der musealen Waggons sind in der Regel defekt oder hygienisch haarsträubend. Zum Ärger der Ex-Landesregierung unter Torsten Albig (SPD) avancierte die Marschbahn an der Westküste zum Sonderthema des Landtagswahlkampfs 2017. Kein Wunder, dass die SPD dort überall das Nachsehen hatte.

Sofort nach Amtsantritt erklärte der neue Wirtschafts- und Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP) mutig in Kiel, er werde dem Elend ein Ende setzen. „Der hatte nicht den Schimmer einer Ahnung von der Inkompetenz des DB-Vorstands und dem maroden Zustand der Organisation“, sagen die lokalen Bahnmitarbeiter. „Jetzt weiß der Buchholz, dass unsere Dieselloks regelmäßig schlapp machen, dass die Digitalisierung der Weichen in Elmshorn nicht klappt, viel zu wenig Lokführer ausgebildet wurden und dass Züge entgleisen, wenn Schienen fehlen.“

Das Unglück im November vergangenen Jahres steckt allen Pendlern nach wie vor in den Knochen: „Da hätte man hopsgehen können, und die Bahn hätte jede Schuld von sich gewiesen.“ Einig sind sich die Pendler der Marschbahn: „Ein Ausschuss des Landtags muss endlich klären, wie man dem Chaos auf der Marschbahn und beim Syltshuttle endlich zu Leibe rückt.“

Allzu viel Hoffnung ist allerdings nicht vorhanden. Hundertjährige Brücken müssten ersetzt, Tausende Tonnen neuen Schotters auf den morastigen Marschboden geschüttet werden. „Bundesverkehrsminister sind immer Bayern“, sagen sich die Pendler. „Denen war der Nordostseekanal immer wurscht, warum sollten sie sich um die Marschbahn kümmern.“ Die Pünktlichkeitsstatistiken des Bahnkonzerns seien genauso erstunken und erlogen wie Abgaswerte von Dieselautos.

Auf ihren neuen Landesverkehrsminister Buchholz aber lassen sie bislang nichts kommen. „Der redet wenigstens Tacheles und heizt dem Bahnvorstand ein“, sagt eine mitreisende Dame. „Das ist ’n Terrier.“ Sie wusste nicht, dass der vorherige Zug wegen Lokschadens ausgefallen war. Sie ahnte da auch nicht, dass sie den ICE nach München verpassen würde, weil der Marschbahnzug über 20 Minuten keine Einfahrt in den Altonaer Bahnhof erhielt.