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Deutschland Koalition in Kiel

Es kann eigentlich losgehen in Norddeutsch-Jamaika

Korrespondent
Die neuen Koalitionen stehen

Nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen stehen jetzt die neuen Regierungen fest. In beiden Bundesländern werden die SPD-Ministerpräsidenten von CDU-Politikern abgelöst.

Quelle: N24/ Matthias Heinrich

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In Kiel steht der schwarz-grün-gelbe Koalitionsvertrag. Das Bündnis will zusätzlich eine halbe Milliarde Euro investieren. Die Parteispitzen sind euphorisch, doch die Basis muss zustimmen.

Ganz zum Schluss, als fast schon alle Streitpunkte ausgeräumt waren, standen CDU, Grüne und FDP noch einmal vor einer kleinen Hürde. Soll „Jamaika“, soll eine künftige schwarz-grün-gelbe Koalition tatsächlich den Genuss von Cannabis freigeben in Schleswig-Holstein? Das Konsumieren weicher Drogen erlauben? Freies Leben, freier Nebel im Land zwischen den Meeren?

Die Grünen, die grüne Jugend vor allem, und auch die FDP, die Jungen Liberalen vor allem, plädieren schon lange dafür. Bei den Liberalen gibt es inzwischen ja sogar einen Parteitagsbeschluss auf Bundesebene. Entkriminalisierung. So cool. Nur die Christdemokraten, die designierten Anführer dieser neuen Küstenkoalition, die sträubten sich noch einen Moment ganz rollengemäß. So, als sei Schleswig-Holsteins Union noch immer die alte kreuzkonservative Nord-CDU. Sie ist es, in ihrer Spitze zumindest, schon eine ganze Zeit nicht mehr.

Bereits unter Peter Harry Carstensen, dem letzten christdemokratischen Ministerpräsidenten hier, hatte die Häutung begonnen, die spätestens seit Uwe Barschel fällig gewesen war; ein Prozess, der sich dann in kurzen Etappen fortgesetzt hat unter Christian von Bötticher, Jost de Jager und schließlich unter Daniel Günther, dem Landesvorsitzenden der CDU seit dem vergangenem Herbst und mit hoher Wahrscheinlichkeit nächstem Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein.

Schleswig-Holstein bleibt Schleswig-Holstein

Der 43-jährige Politologe, Eckernförder Eigengewächs der Nord-Union durch und durch, von etwas weiterem betrachtet so etwas wie ein neuer Shooting-Star der Christdemokratie, hat den Sack dann endlich zugemacht. Sich, auch kalkuliert und mit etwas Glück im Rücken, gegen die Altherren-Union gewandt, wie sie sich auch in der neuen Landtagsfraktion noch immer ein wenig abbildet. Und begonnen, für eine moderne, offene, gegenderte, auch für die schleswig-holsteinischen Städter und die jungen Familien im Hamburger Umland wieder wählbare Union zu kämpfen.

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Die hat dann, was sonst, auch noch einen tragbaren Kompromiss in der Cannabis-Frage akzeptiert. Im von der FDP beanspruchten Sozialministerium soll in der neuen Legislaturperiode untersucht werden, ob und wie ein Modellversuch zur Freigabe von Cannabis aussehen könnte. Ein Prüfauftrag, kein Coffeeshop in der Kieler Innenstadt. Schleswig-Holstein, auch das ist klar, bleibt selbst unter einer „Jamaika“-Regierung Schleswig-Holstein.

So wird Günthers Kabinett, wie es bisher unter der Führung von Torsten Albig (SPD) schon gemacht wurde, die erneuerbaren Energien kräftig ausbauen. Nur, dass die Windkraftanlagen unter der neuen Landesregierung nicht ganz so nah an Siedlungen und Häuser heranrücken sollen, wie vom alten, sozialdemokratisch geführten Kabinett geplant. Das ist eine Frage von 100 oder 200 Metern, je nachdem, die juristisch auch noch überprüft werden muss. Revolution, keine Frage, geht anders.

Das gilt auch für die Flüchtlingspolitik, die wie bisher von einem „humanen“, „verantwortungsvollem“ und „rechtsstaatlichen“ Charakter geprägt sein soll, in dem zwangsweise Ausweisungen die absolute Ausnahme bilden werden. Statt für massive Rückführungsprogramme, wie manche Grüne befürchtet hatten, will sich die Jamaika-Koalition für ein bundesweites Einwanderungsgesetz einsetzen. Eine eigens für Integration zuständige Staatssekretärin soll es auch noch geben.

Eine halbe Milliarde Euro zusätzlich für Investitionen

Am ehesten kommt es noch in der Verkehrs- und Schulpolitik zu spürbaren Veränderungen. Beim Straßenbau wollen zumindest Union und FDP ordentlich aufs Tempo drücken, die Grünen nehmen das hin. Und an Schleswig-Holsteins Gymnasien sollen die Schüler ab dem Jahr 2019/2020 wieder in neun Jahren zum Abitur geführt werden statt in acht. Ausnahmen, die sich die FDP erbeten hatte, sind möglich, wenn sich einzelne Schulkonferenzen mit großer Mehrheit für den Beibehalt des Turbo-Abiturs an ihren Gymnasien aussprechen. Weitere Details des Koalitionsvertrages sollen nach einer redaktionellen Bearbeitung des gut 100-seitigen Papiers am kommenden Freitag veröffentlicht werden. Dann wird auch das neue Kabinett vorgestellt, in dem die CDU drei, Grüne und FDP jeweils zwei Minister stellen sollen.

Unterm Strich, das dürfte sich dann endgültig zeigen, haben sich die insgesamt 36 Kieler Koalitions-Unterhändler auf einen schwarz-grün-gelben Politik-Mischmasch geeinigt, der allen Beteiligten hinreichend Raum zur Selbstdarstellung lässt. Der aber auch, insbesondere in Zeiten knapperer Kassen als derzeit, ausreichend Konfliktstoff birgt. 500 Millionen Euro zusätzlicher Investitionen haben sich die Bündnispartner vorgenommen, vorzugsweise zu refinanzieren durch Mehreinnahmen. Die müssen dann erst einmal zusammenkommen. Aber es war ja auch so schon schwer genug, sich auf derartige Eckdaten zu einigen.

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Robert Habeck zum Beispiel, der Vorzeige-Grüne hier im Norden, musste mitten in diesem dreiwöchigen Verhandlungstunnel schon mal an Kühe denken, die zwar „noch nicht tot“, aber eben „auch noch nicht vom Eis“ seien. Wolfgang Kubicki und Bernd Buchholz, die beiden freidemokratischen „Bulldozer“ („Kieler Nachrichten“), nicht gerade Novizen im Polit-Geschäft, verstanden zwischenzeitlich die politische Welt samt zugehöriger Berichterstattung nicht mehr und sahen ganz schön müde aus nach einem zweitägigen, grüngelben Aufmerksamkeitspoker um die künftige Wirtschafts- und Verkehrspolitik. Der Eindruck, hier würde jemand leichtfertig seine Positionen räumen, sollte und durfte schließlich auch aus liberaler Sicht nicht entstehen. Harte Bandagen.

Die Verhandlungsführer Daniel Günther (CDU), Monika Heinold (Grüne) und Heiner Garg (FDP) kommen in Kiel (Schleswig-Holstein) zu einer Pressekonferenz im Landeshaus zusammen (v.l.)
Die Verhandlungsführer Daniel Günther (CDU), Monika Heinold (Grüne) und Heiner Garg (FDP) kommen in Kiel (Schleswig-Holstein) zu einer Pressekonferenz im Landeshaus zusammen (v.l.)
Quelle: dpa

Umso fröhlicher, fast ausgelassen gut gelaunt, saßen die Verhandlungsführer der drei Parteien dann an diesem Mittwochmittag im Kieler Landeshaus. Daniel Günther, der FDP-Landesvorsitzende Heiner Garg und Grünen-Spitzenkandidatin Monika Heinold erinnerten fast zwangsläufig an Bob Marleys „Three little birds“, deren „message to you-ou-ou“ ja besagt, dass am Ende ja auch immer alles fein und gut wird.

Man habe, jubelte CDU-Mann Günther, in „bewegenden und anstrengenden“ Verhandlungen nicht nur einen Vertrag erarbeitet, sondern auch „ein gemeinsames Projekt“, das „Ökonomie und Ökologie in Schleswig-Holstein miteinander verbinden“ werde. Monika Heinold betonte, dass sich die Grünen nunmehr „als gleichberechtigte Partner“ empfänden. „Wir betreten Neuland“, sagte die alte und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch neue Kieler Finanzministerin, „aber ich finde, das fühlt sich ziemlich gut an“.

Heiner Garg, Freidemokrat, der zwischenzeitlich Mühe gehabt hatte, seine beiden „Bulldozer“ Kubicki und Buchholz wieder an den Verhandlungstisch zurück zu manövrieren, zeigte sich ausgesprochen erleichtert, fast schon befreit. Es sei, sagte er, keinesfalls der „kleinste gemeinsame Nenner“, auf den sich die drei Parteien geeinigt hätten, sondern „ein Bündnis für die Menschen in Schleswig-Holstein“, „etwas Einmaliges“.

Die Basis schüttelt sich noch

Es kann jetzt also eigentlich losgehen in Norddeutsch-Jamaika, aber ein wichtiger Schritt muss zuvor noch gesetzt werden. Mitglieder und Parteitagsdelegierten müssen die Beweglichkeit, die ihre Spitzenpolitiker in den vergangenen drei Wochen gezeigt haben, erst noch nachvollziehen. Die CDU hat dazu einen Parteitag einberufen, ebenso die Grünen mit ihren notorisch skeptischen Delegierten und die auch immer wieder eigenwillige FDP. Die beiden Letzteren wollen außerdem in einem neuartigen Online-Verfahren auch noch die eigenen Mitglieder befragen. Unter ihnen grummelt es noch. Während die CDU-Spitze sicher ist, dass die Mitglieder der Koalitionsvereinbarung zustimmen, betonen die Verhandlungsführer von Grünen und FDP das aus ihrer Sicht gute Ergebnis.

Erst am 26. Juni sollen die Ergebnisse dieser Basisvorstellungen bekannt gegeben werden. Zwei Tage später könnte dann im Landtag Daniel Günther zum neuen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein gewählt werden.

Quelle: dpa infocom
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