Rosen, Selfies, Schulterklopfen, gute Worte. Martin Schulz gibt alles auf dem Marktplatz von Husum. Nimmt sich für jeden Marktbesucher Zeit, findet für alle gute Worte, entschuldigt sich auch gleich noch beim Spargelbauern, dessen Stand vom Wahlkampftross der Sozialdemokraten gerade hermetisch abgeriegelt wird gegen jede Kundschaft.
Schulz kauft „als Ausgleich“ gleich mal selbst zwei Kilo für 15 Euro. Der Kandidat fühlt sich wohl in der „grauen Stadt am Meer“, in der er einst seiner Frau einen Heiratsantrag gemacht hat. Gleich hier nebenan im „Hotel Wohlert“. Noch ein Selfie vor dem Eingang, noch ein kurzer Schnack mit der Besitzerin. Schöne Bilder. Große Mühe. Gutes Gefühl.
Droht Schulz die zweite Pleite?
An ihm, an Schulz, das wird hier jedem klar, soll es nicht gelegen haben, falls es doch noch schiefgeht am kommenden Sonntag. Und es kann schiefgehen bei der Schleswig-Holstein-Wahl. Für die Sozialdemokraten hier im Norden, die in den Umfragen nur noch den zweiten Platz belegen hinter der Union. Und für Schulz, für den ein Machtverlust seiner SPD in Kiel schon die zweite große Enttäuschung wäre nach der verpatzten Saarland-Wahl.
100 Tage ist es jetzt gerade einmal her, seit der kleine Mann aus Würselen und große Mann aus Brüssel von Sigmar Gabriel zum neuen Hoffnungsträger der SPD ernannt wurde. Zum „St. Martin“, unter dem endlich alles besser werden sollte für die seit zwölf Jahren so gebeutelte Sozialdemokratie. Und jetzt, aus gerade noch so heiterem Himmel, geht es plötzlich schon um alles.
Eine Niederlage in Schleswig-Holstein, ein schlechtes Ergebnis in Nordrhein-Westfalen eine Woche später, und schon wäre das Ende des Schulz-Hypes nicht nur das übliche „Journalistengeschwätz“, wie es viele Sozialdemokraten auf dem Husumer Marktplatz derzeit noch empfinden, sondern bittere Realität. Also bleibt es nicht bei Rosen, Selfies und Spargel auf dem Husum-Markt.
Neumünster, Flensburg, Kiel, Lübeck, das sind die weiteren Stationen einer Nord-Tour, bei der Schulz gemeinsam mit Ministerpräsident Torsten Albig und dem hiesigen Landesvorsitzenden Ralf Stegner jenes große, rote Gerechtigkeits-Totem beschwört, das in Schleswig-Holstein wie im Bund den Mittelpunkt des SPD-Wahlkampfs bildet. Und um das die großen Forderungen der Genossen nach „guter Arbeit“, „gleichem Lohn“, „gebührenfreier Bildung“ genau so eng kreisen wie die Geschichten ihrer Spitzenkandidaten.
Wie Schulz, der bei seinen Kundgebungen im Norden wieder auf seine Zeit als Buchhändler und Bürgermeister zurückgreift, verweist auch Torsten Albig zu Beginn jeder Wahlveranstaltung per Videobotschaft auf seine bescheidene Herkunft. Darauf, dass er „der Erste in seiner Familie gewesen ist, der sich seinen Lebenslauf komplett selbst aussuchen konnte“. Ein sozialdemokratisches Narrativ, aus dem heraus sich Albig noch mehr als Schulz in einer sozialdemokratischen Wagenburg verschanzt. Gut gegen böse. Klein gegen groß. Rechter Glaube, unrechter Glaube. Wir! Gegen die!
„Kämpfen um jede Stimme“, ruft der Ministerpräsident am Mittwochabend in Neumünster und berichtet seinen Zuhörern, dass es ihn schlichtweg „wütend“ mache, dass da „welche des Weges kommen“, die ihm, die den Sozialdemokraten wieder wegnehmen wollten, was sie geschafft hätten: „Wir lassen uns das nicht wegnehmen!“
Wahl wird zur Zitterpartie für SPD
Klingt ein bisschen nach Sandkasten. Ist aber Wahlkampf-Endspurt, Mobilisierung aller Kräfte nach einem ersten Blick in den Abgrund. Bei rund 30 Prozent sehen die Meinungsforscher die SPD derzeit, hinter der CDU, die auf 32 Prozent kommt; das würde vermutlich nicht reichen für die sogenannte Küstenkoalition, die die Sozialdemokraten mit den Grünen und dem SSW, der Vertretung der dänischen Minderheit, gebildet haben.
Dabei hatte es lange Zeit gut ausgesehen. Bis kurz vor Ostern zeigten die Umfragen einen einigermaßen komfortablen Vorsprung für das Bündnis. Das Erreichen des ersten Wahlziels der Sozialdemokraten, stärkste Partei im Kieler Landtag zu werden, lag ebenso zum Greifen nah wie das des zweiten, die Fortsetzung der Koalition. Auf zusammen rund 50 Prozent kam das Bündnis damals, damit wäre ihm die Mehrheit der Sitze sicher gewesen.
Mit 46 Prozent, so die jüngsten Umfragedaten, wäre diese Mehrheit dagegen in höchster Gefahr; unter anderem abhängig von der Frage, ob AfD und/oder die Linke den Sprung über die Fünfprozenthürde schaffen. Es ist eine Zitterpartie geworden, in der auch Ministerpräsident Albig selbst einen Teil zum Abrutschen der SPD-Werte beigetragen hat.
Mit einem missverständlichen „Bunte“-Interview über den Stand seines Ehe- und Beziehungslebens verprellte der Regierungschef ohne Not einen Teil seiner potenziellen weiblichen Wähler. Wenig später verpasste Albig beim bisher einzigen kleinen Aufreger dieses Wahlkampfs, dem sogenannten Ver.di-Schlampen-Eklat, seinen Einsatz beim TV-Duell.
Statt sich von den nicht nachweisbaren Vorwürfen einer SPD-Parteifreundin gegen seinen CDU-Kontrahenten Daniel Günther zu distanzieren, schob der Regierungschef die Schuld an dem Vorfall kurzerhand dem NDR in die Schuhe. Der habe die Sendung „unprofessionell“ organisiert. Es sind solche Missgriffe, im Grunde genommen Kleinigkeiten, die einer Partei nach fünf Jahren unangefochtenen Regierens einen Strich durch die knappen Rechnungen machen können.
„Wie ist die Stimmung?“, fragt Schulz am Ende seines Marktbesuchs eine Gruppe Husumer Jungsozialisten, die ihn auf dem Parkplatz des Hotels „Altes Gymnasium“ verabschieden wollen. „Gut“, antworten die Jusos wie aus einem Mund, die Stimmung an ihren Ständen sei ausgesprochen gut. „Prima“, sagt der Kanzlerkandidat. „Ich habe auch ein sehr gutes Gefühl.“ Es wäre wichtig für ihn, dass es nicht trügt.