RTL

In diesen Kinderbüchern gibt es nicht nur Mutter, Vater, Fußball-Junge und Ballett-Mädchen

Raffi trägt ein Tutu, und das ist auch gut so: Vielfalt in Kinderbüchern

Auch Flavio Simonetti hat ein Kinderbuch geschrieben - und er wurde dafür angefeindet
Auch Riccardo Simonetti hat ein Kinderbuch geschrieben - und er wurde dafür angefeindet
von Mireilla Zirpins

Promis wie Riccardo Simonetti und Olivia Jones sind nicht die einzigen, in deren Kinderbüchern die Welt viel bunter ist als in zahlreichen Klassikern mit kickenden Jungs und puppenspielenden Mädchen. Wer also den Kids Geschichten vorlesen will, in denen beide Geschlechter abenteuerlustig sind, Jungs auch mal im Rock zur Schule gehen oder die Kinder wie im wirklichen Leben auch mal zwei Mamas haben, der ist bei unseren Lese-Tipps goldrichtig.

Ein richtiger Trend: Kinderbücher, die's anders machen als früher

So genau kann Thea Wittmann von der Kinderbuchhandlung „Knirps und Riese“ in Köln-Ehrenfeld gar nicht sagen, wann es losging. Aber sie sieht ganz klar eine Entwicklung zu Kinderbüchern, die die Vielfalt feiern und versuchen, unsere Welt so abzubilden, wie sie ist – bunt und vielfältig. „Da ist in den letzten Jahren viel rausgekommen – zum Beispiel zahlreiche Titel zum Thema Körper“.

Sonja Eismann und Amelie Persson zeigen in „Wie siehst du denn aus?“ mit kunterbunt gemalten Körperteilen, was alles normal ist – viele verschiedene Haut-, Haar- und Augenfarben und -formen, aber auch Brüste, Popos, Vulven und Penisse. So kommen Kinder gar nicht erst auf die Idee, sich zu fragen, ob sie einer wie auch immer gearteten „Norm“ entsprechen. Und lernen en passant etwas zum Thema Biologie. Für größere Kids ab 9 Jahren deklinieren die Autorinnen und Autoren der „Atelier Laborgemeinschaft“ in „Ich so, du so“ durch, was eigentlich normal sein soll.

Als positives Beispiel nennt die Buchhändlerin Jessica Loves „Julian ist eine Meerjungfrau“ die phantasievoll illustrierte Geschichte eines Jungen mit dunkler Hautfarbe, der gerne eine Meerjungfrau wäre und sich verkleidet. Und seine Oma? Gibt ihm eine passende Kette zu seinem Outfit. „Das zeigt, was möglich ist, wenn man die Welt von Conni & Co verlässt.“ Die scheint ihr nicht mehr ganz so angesagt zu sein, ebenso wie Captain Sharky oder Prinzessin Lillifee, die vor ein paar Jahren noch die Kinderzimmerwelt in Rosa und Blau unterteilten. „Es ist wichtig, dass das nicht nur im Regal steht, sondern auch im Netz diskutiert wird“ Da kommen Promis wie Riccardo Simonetti oder Collien Ulmen-Fernandes ins Spiel.

Mutige Mädchen und häusliche Junges nicht nur bei Collien Ulmen-Fernandes

Gender-Stereotype sind das Thema von Collien Ulmen-Fernandes‘ und Carola Sieverdings „Lotti & Otto“. Der arme Otto soll im Ferienlager schön mit den anderen Jungs Radau machen, dabei möchte er lieber was nähen oder backen. Was wiederum nix für die abenteuerlustige Chaotin Lotti ist. Die zwei Otter zeigen den Camp-Spießern und -Spießerinnen mal, was gelebte Gleichberechtigung ist und im zweiten Band, wie sinnlos Vorurteile und Rassismus sind – „Lotti und Otto: Eine Geschichte über ‘echte Kerle’, alte Vorurteile und neue Freunde“.

Gut verkauft sich in der Kölner Buchhandlung momentan auch die „Kalle und Elsa“-Reihe von Jenny Westin Verona und Jesús Verona. Da erleben zwei Kinder unterschiedlicher Hautfarbe kleine Abenteuer, das Mädchen ist wilder und mutiger.

Anzeige:

Empfehlungen unserer Partner

Positive Message: Riccardo Simonettis "Raffi und sein pinkes Tutu"

Influencer Riccardo Simonetti geht’s um Akzeptanz, er lässt in „Raffi und sein pinkes Tutu“ (illustriert von Lisa Rammensee) seinen Protagonisten ein pinkfarbenes Ballettröckchen zur Langhaarfrisur tragen. Das findet sogar dessen eigene Schwester lächerlich. Zum Glück hat Raffi einen tiefenentspannten und saucoolen Papa – und am Ende eine Strategie, mit dem Mobber aus seiner Klasse umzugehen. Ein Plädoyer gegen altmodische und sinnlose Geschlechterklischees. Dass es gut ist, mal in Form eines Kinderbuchs darüber zu reden, zeigen die erbosten Zuschriften, die Riccardo dafür kassiert hat, wie er hier im Video erzählt.

Nicht mehr ausschließlich heteronormative Familien in Kinderbüchern

Olivia Jones widmet sich in „Keine Angst in Andersrum – Eine Geschichte vom anderen Ufer“ (Illustrationen: Jana Moskito) den Vorurteilen gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe und zeigt, wie schmerzhaft Diskriminierung sein kann. Da findet der kleine Luis Spinat „voll schwul“ – und wird von Tante Maria „mit der tiefen Stimme“ mal aufgeklärt, dass das gar nicht „total unnatürlich“ ist, wenn Männer Männer liebhaben wie die Papas vom Max – oder Frauen Frauen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Bücher auch schon für kleine Kinder, in denen Held oder Heldin zwei Mamas oder zwei Papas haben. Bei Linda de Haans und Stern Nijlands „König und König“ denken Eltern, dass sie aufgrund des Titels die Story eh schon kennen. Da liegen sie natürlich nicht falsch. Aber anders ist hier auch, dass die Königin, die ihren Sohn unter die Haube bringen will und der gute Prinz selbst beide nicht mehr ganz jung sind.

Den Kindern ist es egal, ob die Autorinnen oder Autoren Promis sind

„Die Kinder sind unvoreingenommener, die gucken, was ihnen gefällt“, berichtet Buchhändlerin Wittmann. Charaktere, mit denen man sich identifizieren kann und eine ansprechende Bildgestaltung interessieren Kids im Kita-Alter meist mehr als die Tatsache, dass der Autor oder die Autorin berühmt ist. Das ist eher für die Eltern relevant. Denn ein bisschen Gossip ist doch immer schön! Und man kann den eigenen Kids erklären, wofür die Promis berühmt sind – falls man das so genau benennen kann. Aber die Medien berichten über diese Menschen und ihre Kinderbücher, und Eltern lassen sich gern inspirieren.

"Märchenland für alle"

Ein solcher Fall ist „Märchenland für alle“ aus Ungarn. Buchhändlerin Thea Wittmann: „Das Märchenbuch ist dort direkt auf den Index gekommen und öffentlich geschreddert worden. Das hat viel Aufmerksamkeit erfahren, sodass die erste Auflage der deutschen Übersetzung sofort weg war und neugedruckt werden musste.“ Denn die Geschichten um ein trans Bambi, einen schwulen Prinzen, einen Hasen mit drei Ohren oder Mädchen, denen nicht die Heirat als ultima ratio erscheint, stieß der Regierung von Viktor Orbán auf. Sie geht schon länger repressiv gegen queere Menschen vor. Jetzt erst recht, beschloss das Magazin „Stern“ und brachte das Märchenbuch kurzerhand hier in einer deutschen Übersetzung heraus. Die Geschichten lesen sich überhaupt nicht wie eine Persiflage mit queerem Personal, sondern sind liebevoll wie klassische Märchen erzählt und illustriert, nur dass hier nicht Aschenbrödel den Prinz bezirzt, sondern ein junger Mann namens Batbajan. Und zwar beim Karaoke.

Warum es so wichtig ist, was wir unseren Kindern vorlesen oder zum Lesen geben

Vorlesen ist der erste Schritt zur Leseförderung. Und natürlich formt sich unser Weltbild nicht nur aus Dingen, die wir selbst erleben, sondern aus Gesehenem, Gehörten und Gelesenem. Wenn in sämtlichen Büchern, die Kinder konsumieren, Mama den Haushalt macht, während Papa Pfeife raucht oder im Keller frickelt, zementieren sich klassische Rollenverständnisse, egal was wir selbst daheim leben.

Doch selbst in Büchern für die Allerkleinsten weht neuerdings ein frischerer Wind. Das „Grüffelo!-Duo Julia Donaldson und Axel Scheffler zeigt, dass man eine Romeo-und-Julia-Story über Diskriminierung und verschiedene Hautfarben auch ganz ohne Menschen erzählen kann: In „Die Schnetts und die Schmoos“ teilen sich rote und blaue Wesen den Stern Sehrsehrfern und stecken knietief in Vorurteilen fest.

Worauf Sie bei der Kinderbuch-Auswahl achten können

Aber nicht nur in neuerer Kinderliteratur lassen sich Positivbeispiele finden, sondern auch in Klassikern. Schon Enid Blytons „Fünf Freunde“-Reihe mit George eine Mädchenfigur, die gern ein Junge wäre – und Buchhändlerin Thea Wittman fand gerade das als Kind faszinierend. Bei „Bibi und Tina“ oder in „Lottaleben“ sind die weiblichen Titelheldinnen die Macherinnen, genauso wie in Astrid Lindgrens „Madita“ oder „Ronja“.

Und auch „Pippi Langstrumpf“ ist eigentlich ein Paradebeispiel für ein Buch, in dem mal nicht nur die Jungs alle Abenteuer erleben, sondern die weibliche Titelheldin. Tommi und Annika sind hingegen erfrischenderweise gleich langweilig. Doch wer aus seinem „Pippi Langstrumpf“-Exemplar aus Kindertagen vorliest, muss sich als erstes überlegen, ob er aus Pippis Papa einen Südseekönig macht. Sollen wir es verschweigen, dass hier auch noch in Übersetzungen aus den 1970er und 80er Jahren das N-Word verwendet wurde oder besser ansprechen, warum das da steht und weshalb das nicht geht? Thea Wittmann berichtet, dass der Oetinger-Verlag das N-Wort in neueren Ausgaben mit einem Sternchen und einer Einordnung der Sprache versehen hat.

Doch achten Sie mal drauf: Auch Kinderbücher, die nicht aus den 1940er Jahren stammen, transportieren oft noch Alltagsrassismus oder Geschlechterklischees, die wir so unausgesprochen an unsere Kinder weitergeben, auch wenn wir selbst gar nicht so denken. Wie also generell umgehen mit Kinderliteratur?

1. Bücher vorher selbst nochmal allein lesen

Kennen Sie das? Sie haben enthusiastisch eins Ihrer alten Kinderbücher aus dem Keller geholt und merken beim Vorlesen, dass sie mit dem Blick einer bzw. eines aufgeklärten und emanzipierten Erwachsenen manches darin antiquiert oder seltsam finden? Es hilft, sich das Buch vorher erstmal noch mal allein zu Gemüt zu führen. Das hat gleich mehrere Vorteile: Erstens lesen Sie dann automatisch besser vor, zweitens kennen Sie den Inhalt und können besser Fragen dazu beantworten und drittens tappen Sie nicht in die Falle, etwas zu brutales oder nicht mehr zeitgemäß Formuliertes schon laut vorgetragen zu haben und es dann relativieren zu müssen. Sollte Ihnen bei der Gelegenheit auffallen, dass Sie die Story noch toll finden, aber die Sprache nicht, schauen Sie nach einer neueren Übersetzung. Oder helfen Sie selbst nach mit einem Bleistift.

2. Ein eigenes Mindset entwickeln

Finden Sie heraus, was Sie Ihren Kindern gern vorleben wollen und welche Bücher dazu passen. Wir sollten uns darüber bewusst sein, dass nicht nur die Figuren für ein Weltbild stehen, sondern wir das, oft unbewusst, auch sprachlich transportieren. Wer sollen die Protagonist:innen unserer Kinderbücher sein? Sie werden staunen, wie oft es heteronormative, weiße Familien mit traditioneller Rollenverteilung sind, mutige Jungs und hilfsbereite Mädchen ohne Behinderungen. Achten Sie auf eine gendersensible Sprache ohne Alltagsrassismus! Bücher wie „Was ist eigentlich dieses LGBTIQ*“ von Linda Becker und Julian Wenzel helfen dabei, kindgerechte Erklärungen zu finden – und erzählen ganz nebenbei, dass es auf der Welt ungefähr genauso viele intergeschlechtliche Menschen wie Rothaarige gibt.

Lese-Tipp: Queer, trans, inter – die wichtigsten Begriffe verständlich erklärt

Lese-Tipp: Farbig, Schwar, PoC – welche Bezeichnungen sind ok?

3. Erklären und einordnen

Sie können natürlich weiter Klassiker mit ihren Kindern lesen, aber vielleicht ordnen Sie Sprache und Haltung gemeinsam ein. „Bobo Siebenschläfer“ von Markus Osterwalder verkauft sich etwa „ungebrochen“, wie Thea Wittmann berichtet. Überlegen Sie mit Ihren Kindern, was für eine Rollenvorstellung dahintersteckt, dass Bobs Mama immer einer Art Nachthemd rumläuft und alles aufwischt, während Papa mit der Aktentasche heimkehrt und dann keinen Handschlag bei Kindererziehung und Haushalt tut. Wetten, dass Ihren Kids das aufstößt, wenn sie es von daheim nicht so kennen? „Wenn Bobo zwei Mamas hätte, würde er ja auch am Ende einschlafen“, lacht die Buchhändlerin. Und warum muss ausgerechnet die kleine Conni den Haushalt machen, wenn sich ihre Mama das Bein bricht? Es macht ja auch Spaß, sich gemeinsam auszudenken, wie die Geschichte auch hätte aussehen können. Und dann vielleicht „Herr Seepferdchen“ von „Raupe Nimmersatt“-Erfinder Eric Carle lesen. Da zieht nämlich Papa Seepferdchen die Brut auf und wir Erwachsenen lernen auch was. Oder wussten Sie, bei welchen Unterwasser-Tierarten ebenfalls das Männchen die befruchteten Eier betüddelt?

Lese-Tipp: Heartstopper & Co: Queer Romance für Teenager und Erwachsene

https://www.rtl.de/cms/buecher-ueber-und-von-lgbtiq-4990118.html

Was wir uns für die Zukunft bei Kinderbüchern wünschen

Diese Geschichten sind nur einige von mittlerweile vielen positiven Beispielen in einem jungen Büchermarkt, der sich in puncto Vielfalt und Diversität öffnet und weiterentwickelt. Und dann hoffen wir gemeinsam, dass es immer mehr Bücher gibt, in denen menschliche Vielfalt einfach „normal“ ist und sich der Konfklikt eben nicht darum dreht, dass es etwa zwei Väter gibt. „Die in meinen Augen tollen Bücher thematisieren nichts, die zeigen einfach: So sieht es aus, ähnlich wie in der Serie ‘Bridgerton’. Und lassen Luft, damit die Leser:innen sich ihr Bild selber machen“, lobt Buchhändlerin Wittmann. „Sonst wird das Problem ja noch betont.“ Sie freut sich, dass die „Holzhammermethode“ aber bei den ganz neuen Büchern immer seltener wird.

Bücher wie Katharina Wiekers „Buddel mit dem Baggerhuhn“ für Kleinderkinder (ab 1 1/2). Da sitzt im Führerhäuschen kein Typ im Blaumann, sondern wie selbstverständlich ein gerupftes Huhn namens Anette Kuhn mit Perlenkette und Helm. In Constanze von Kitzings Wimmelbuch „Komm, wir zeigen dir unsere Kita“ (ab 3 Jahre) ist nicht nur der Kindergarten kunterbunt, sondern auch alle, die darin spielen. In Judith Allerts und Marie Braners Vorlesegeschichten „So sind Familien“ (ab 4) gibt’s mal nur ein Elternteil, mal zwei Mamas, eine demente Oma oder eine junge Heldin im Rollstuhl. Bruder und Schwester helfen gemeinsam im Haushalt. In „Allerbeste Schwestern“ (ab 5) von Caroline Rosales und Laura Bednarski spielt es keine Rolle, dass Mamas neuer Freund und seine Tochter eine andere Hautfarbe haben als Bella. Hier dreht sich der Konflikt um Eifersucht zwischen den Kindern in einer Patchworkfamilie. Bücher bilden ja nicht nur gesellschaftliche Verhältnisse ab, sondern können auch dazu beitragen, sie zu verändern. Gerne mehr davon!

Produktvergleiche, Angebote und Services