Öffentlicher Nahverkehr - Pariser Nachhilfe für die Berliner U-Bahn

Do 23.05.24 | 06:06 Uhr | Von Agnes Sundermeyer
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Franziska Giffey beim Pressetermin des Pariser ÖPNV. (Quelle: rbb)
Video: rbb24 Abendschau | 23.05.2024 | Agnes Sundermeyer | Studiointerview mit Agnes Sundermeyer | Bild: rbb

Im Großraum Paris sollen 68 neue U-Bahn-Stationen entstehen – in nur 15 Jahren. Davon kann Berlin aktuell nur träumen. Die Berliner Verkehrsbetriebe wollen sich vor Ort vom Pariser "Spirit" anstecken lassen – und stoßen an ihre Grenzen. Von Agnes Sundermeyer

In der Pariser Vorstadt "Le blanc Mesnil" ragen Metallstreben in die Höhe für ein höchst futuristisch anmutendes Dach. Luftig umspannt es das Eingangsgebäude einer neuen U-Bahnstation. Ein zukünftiger Stopp des "Grand Paris Express", eines der größten Infrastrukturprojekte Europas.

Durch diesen Eingang steigt die Delegation der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) gemeinsam mit ihrer Aufsichtsratsvorsitzenden, der Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD), rund 21 Meter in die Tiefe. Rolltreppen sind schon fertig, aber noch unter Holzbrettern versteckt. Alles scheint nur auf die neuen U-Bahn-Züge zu warten. Sie werden vollautomatisch unterwegs sein, also fahrerlos.

200 Kilometer neues Streckennetz in Paris

Unten blickt der Vorstandvorsitzende der BVG, Henrik Falk, in einen fast fertiggestellten Tunnel. Mit 60 Stundenkilometern werden die Züge des Grand Paris Express dort "hindurchrasen". Klingt gar nicht so schnell, aber in Berlin sind die Bahnen im Untergrund nur mit durchschnittlich 30 Stundenkilometern unterwegs.

Bisher waren sie auch in Paris langsamer, aber mit dem "Grand Paris" soll alles schneller gehen. Nicht nur die Geschwindigkeit soll sich auf den vier neuen und zwei ausgebauten Linien mehr als verdoppeln, sondern auch das Schienennetz. 200 Kilometer Schiene kommen mit dem Grand Paris Express hinzu.

BVG-Chef sieht Bund beim Ausbau in der Pflicht

Begeistert und staunend schauen Giffey und die BVG-Vertreter in die Tunnel rechts und links der neuen Station. Auf die Frage, ob man nicht auch beim U-Bahn-Ausbau in Berlin einen Zahn zulegen könne, reagiert BVG-Chef Henrik Falk zurückhaltend. Klar, das sei "die Vision". Aber vor allem in Finanzierungsfragen unterschieden sich Frankreich und Deutschland gewaltig.

"Wo wir noch Herausforderungen in Berlin haben, ist, Modelle zu finden, wie man ein solches Projekt finanziert", sagt Falk – und erinnert: "Frankreich ist ein Nationalstaat, da ist die Nationalregierung stark beteiligt". Berlin müsse mit dem Bund gemeinsam eine Vision entwickeln, um solche Projekte zu stemmen. Dabei übernimmt der Bund bei U-Bahn-Projekten bereits über die Hälfte der Kosten.

Ohne politischen Rückhalt läuft nichts

Der Grand Paris Express wird 36 Milliarden Euro kosten. Finanziert über eine Sondersteuer auf Büroflächen, Grundstücke, Hotelbetten und Kredite. Die Steuer soll jährlich Einnahmen von 800 Millionen Euro bringen.

Jean-Francois Stoll, Chef der "Société de Grand Paris", die Auftraggeber des Mega-Projektes ist, erläutert, besonders wichtig beim Grand Paris Express sei neben dem ausgeklügelten Finanzierungskonzept auch gewesen, dass dieses Projekt von drei Präsidenten ganz unterschiedlicher Parteien vorangetrieben worden sei: Sarkozy, Hollande, Macron. Ohne diesen politischen Rückhalt ginge nichts.

Giffey: "Hadern und Zaudern nicht der richtige Weg"

Das wiederum dürfte den Berlinern bekannt vorkommen. Jahrelang lang war in Berlin Stillstand in Sachen U-Bahn. Der Weiterbau einer Linie – der U3 zwischen Krumme Lanke und Mexikoplatz – soll kommendes Jahr beginnen. Mit 800 Metern mutet das aber im Vergleich zum Pariser Projekt eher wie eine Spielzeugbahn an.

Auf das langsame Tempo angesprochen, macht die Berliner Wirtschaftssenatorin eine abwehrende Handbewegung. Klar sei: "Ein Hadern und Zaudern, ob man vielleicht eine U-Bahn ausbauen sollte, ist nicht der richtige Weg!" Jetzt müsse man sich wieder mehr an einen Tisch setzen, um eine Vision zu entwickeln. Doch was das genau heißen soll, lässt Giffey offen.

Tunnelbau "made in Germany"

2030 soll der Grand Paris fertig sein. Damit das klappt sind 28 Tunnelbohrer "made in Germany" im Einsatz. Die Firma Herrenknecht aus Baden-Württemberg hat sie geliefert.

Das neu entstandene Streckennetz verlängert die bestehende Linie 14 nach Norden und Süden, damit soll sich die Fahrzeit zum Flughafen Orly vom Zentrum aus deutlich verkürzen. Die neuen Linien sollen aber auch für eine bessere Anbindung der Vororte sorgen. Davon verspricht sich das Land auch eine Verbesserung der strukturschwachen Banlieues. "Wir wollen, dass der Weg zur Arbeit kürzer wird und es damit auch attraktiver wird, eine Arbeit aufzunehmen", formuliert es der Chef der Société de Grand Paris.

Eine wichtiger Aspekt auch für BVG-Chef Falk: "Dass Mobilität hier auch als ein sozialer Faktor gedacht wird, das müssen wir noch mehr in den Blick nehmen."

Die Vision soll nicht nur glitzern

Auch in Berlin ist die Frage der besseren Verkehrswege in die Außenbezirke und in den Speckgürtel noch lange nicht beantwortet. Dafür komme aber, so Falk, nicht nur der U-Bahnausbau in Frage, der lange dauere. Er selbst mache "keinen Hehl" daraus, dass er neben dem U-Bahn-Ausbau auch auf das autonome Fahren bei Kleinbussen setze, so der BVG-Chef.

Als die Gruppe der BVGler und Giffey wieder aus der U-Bahn-Station auf den Vorplatz der Baustelle tritt, ist das Fazit klar: Es müsse schneller gehen beim U-Bahn-Ausbau. Man habe jetzt "eine Vision". Die aber glitzert vorerst nur – so wie die Sonne an diesem Mittag durch die futuristische Dachkonstruktion.

Sendung: rbb24 Abendschau, 23.05.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Agnes Sundermeyer

70 Kommentare

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  1. 70.

    Ich kenne die Bedeutung des Namens Ringbahn und weiß, daß die Fahrzeit für eine Runde das ganzzahlige Vielfache der Taktzeit sein muß, weil die Züge sonst die Differenz bis zum nächsten ganzzahligen Vielfachen der Taktzeit irgendwo verbummeln müssen oder diese Differenz wird als Fahrzeitreserve gerechnet. Aber es gibt seit Jahrzehnten noch einige weitere Vorschläge für zusätzliche Stationen im S-Bahn-Netz, auch auf der Ringbahn, die seit Jahrzehnten nicht wirklich werden, weil die Verantwortlichen zu träge sind. Das war der Sinn meines Kommentars.

  2. 68.

    Man könnte auch andere stillgelegte, aber nie entwidmete Strecken reaktivieren. Nur kommen sofort der Wossie und seine Alter Ego ums Ecke, weil die das nicht wollen. Gleiches kann man auch von anderer z.B. bei der Anbindung des Ostkreuz sehen. Die Verlängerung der M10 wird an beiden Enden von Linken oder Linksalternativen bekämpft.

    Manch einer weiß zwar nicht um die Fläche von Paris, will aber U-Bahnen weit über die Grenzen von Berlin fahren lassen, weil ein Immobilienentwickler das vor über 100 Jahren toll fand, das aber nicht mit der BVG abgestimmt hat.

  3. 67.

    Mann muss kein Verkehrsexperte sein, um bei einer aktuellen Umlaufzeit von genau einer Stunde auf die Idee zu kommen, dass eine weitere S-Bahnstation auf dem Ring massive Auswirkungen hat, es könnte aber helfen. Tipp für Laien: Die Züge haben zwar aus technischen Gründen manchmal Beusselstraße als Endhaltestelle, wenden dort, sondern fahren unter gleichen Liniennummer weiter im Kreis. Daher auch der Name "Ringbahn" und die zwei verschiedenen Nummer.

  4. 66.

    Eine derartige, sehr wohl denkbare Station wäre sinnvoll, wenn in der Tat ein Teil des Tempelhofer Feldes bebaut würde. Meines Erachtens hat sich da etwas bei der letzten Volksabstimmung hochgeschaukelt: Die Unzufriedenheit mit dem seinerzeitigen Wowereit-Senat war grenzenlos und so fand sich eine faktische Negativ-Koalition zusammen: Menschen, die aus sehr unterschiedlichen Motiven heraus das Gleiche taten.

    Eine Randbebauung zumindest an dieser Stelle böte die Chance, eben diesen S-Bhf. einzurichten und einen Sprung über die A 100 zu bewerkstelligen, wobei eine maßgebliche städtebauliche Teilung Berlins an dieser Stelle endlich überwunden werden könnte.

  5. 65.

    Frankreich ist ein Zentralstaat mit starkem Bezug zu seiner Metropole. Das ist in Deutschland - zum Glück! - so nicht gegeben. Weder die "Welthauptstadt Germania" noch "Alles für die Hauptstadt !" gilt zum Glück nicht mehr und auch in einer Demokratie ist so ein Denken mit Vorsicht zu genießen.

    Zudem: Paris, was als Fläche kaum mehr als den Berliner Tarifbereich A umfasst, aber 3 Millionen Einwohner aufweist, auf einer Fläche in der Größe Berlins gut 7 Millionen, hat weitaus stärkere Verkehrsströme als Berlin. Dieses nun gleichzusetzen, zeugt von Realitätsverleugnung.

    Berlin sollte seine Hausaufgaben machen und vor dem Neubau von Stationen erst einmal seine bestehenden U-Bahnhöfe in Ordnung bringen: Auf dem Rudower Zweig der U 7 sind etliche Bahnhöfe ein Torso. An der Spitze des Grauens, im wahrsten Wortsinne: Grenzallee.

    Von Giffey erwarte ich nichts anderes.

  6. 64.

    Das pariser RER (Regional-Express-Netz) ähnelt zwar dem Berliner S-Bahn Netz, aber die Fahrzeuge brauchen anders als in Berlin keine eigene Trasse.

  7. 63.

    In Paris gibt es auch eine S-Bahn die 5 Linien hat und hier RER heißt und weiter als inn Berlin dss Umland bedient.

  8. 62.

    Da Paris keine S-Bahn hat, baut es nunmal die bestehende Metro und die seit 2006 wiederinbetriebgenommenen Strassenbahnlinien aus, letzteres wäre auch für die BVG in Berlin schneller möglich. Eine bessere Anbindung des Berliner Umlandes wird eher mit dem Ausbau der S + RegionalBahnen statt einer U-Bahn"Vision" möglich sein, für diese Erkenntnis bräuchte die Gruppe der BVGler nur die S-Bahn-Berlin besuchen, aber Paris ist doch auch immer eine Reise wert.

  9. 61.

    Da Paris keine S-Bahn hat, baut es nunmal die bestehende Metro und die seit 2006 wiederinbetriebgenommenen Strassenbahnenlinien aus, letzteres wäre für die BVG auch in Berlin schneller möglich. Eine bessere Anbindung des Berliner Umlandes wird mit dem Ausbau der S + RegionalBahnen statt einer U-Bahn"Vision" möglich sein, für diese Erkenntnis bräuchte die Gruppe der BVGler nur die S-Bahn-Berlin besuchen, aber Paris ist doch auch immer eine Reise wert.

  10. 60.

    Vielleicht sollte Frau Giffhey einmal in Wilhelmsruh üben und erklären,warum man in 30 Jahren nicht 1,5 km Heidekrautbahn auf gewidmeter Trasse im Eigentum der NBE hinbekommt,oder warum es nicht möglich ist,die Ostberliner U5 über ein vorhandenes seit Jahren jedoch unbefahrbares U Bahntunnel wieder mir dem übrigen U Bahnnetz zu verbinden,von der Straßenbahn zum Bf Ostkreuz ganz zu schweigen. Dazu brauche ich nicht nach Paris zu fahren,daß alles ist mit Berliner Nahverkehr zu erkunden.

  11. 59.

    An dieser und an vielen anderen Stellen sind schon lange S-Bahn-Stationen vorgesehen. Gebaut wurden diese nicht, weil die Politiker zu träge sind und lieber ideologiegetrieben den Autoverkehr den Vorrang geben. Wählt Politiker, die nicht der Autoideologie unterworfen sind und auch fähig sind, ihre Ziele zu erreichen.

  12. 58.

    Ich finde die Weiterführung der U5 von Alex nach Hbf sehr gut, weil die U5 Alexanderplatz - Hönow direkten Anschluß bekommt an die U6, die Nord-Süd-S-Bahn, an die RE3,4,5 und an den Fernverkehr. Durch den Wegfall je eines Umstiegs wird der ÖPNV attraktiver.

  13. 57.

    Handycap... Ähhh... mit der Benutzung meines Smartphones habe ich auch machmal Probleme...ich gehöre halt zu den Silversurfern...

    Aber hier war Handicap gemeint. ;-)

  14. 56.

    Echt jetzt? Raten sie doch mal wie alt ich bin. Tipp: Keine 50 mehr. Mit Handycap und diversen "Wehwehchen".

    Aber wir kommen vom Thema ab...

  15. 55.

    Da denkt "V8 Max" noch in alten Zeiten. In Zeiten von Funktionskleidung und/oder E-Bikes ist das längst überholt.

    Ich komme ohne E-Bike mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 km/h ohne zu Schwitzen an. 15 km/h ist in der Innenstadt die durchschnittliche Geschwindigkeit des MIV.

  16. 54.

    Welche Innenstadt?
    Jenen mit den neuen Wohnungsbauten, gefühlt zu 95% Eigentumswohnungen, die dann auch alle Tiefgaragenplätze bieten, damit die Nutzer/Mieter zum Wochenende mit ihren PKW ins ach so grüne Umland fahren können?
    Oder Jene, die ach so grün ist (zu werden hat), viele Orte zum "Verweilen" einladen (zu haben) um was zu gewinnen?
    Berlin will anscheinend ein weltweiter Experimentier-Hotspot sein.

  17. 53.

    Echt jetzt, "Jeder Radfahrer entlastet den ÖPNV"?
    Solch Personen werden sicher nicht älter und behalten auf Lebenszeit (= Rentenbeginn) ihre Beweglichkeit.
    Da sehe ich einen gestörtrn Bezug zu älteren Mitmenschen (wenn man schon nicht die Eltern achtet).
    Man will ja nicht als böse gelten, aber Manchen sollte mal ein Handycap zeitweise wünschen um ein realistischeren Blickwinkel zu entwickeln.

  18. 52.

    Japan ist eh soo unglaublich! Das wird hier nie erreicht! War einige Jahre in Tokio in den 2000 ern. Es ist so perfekt. Ich habe es so geliebt. Berli. Ist neunmal dörflichen. Es ist Hauotstadt aber Grosstadt? Nein.

  19. 51.

    "gerade in der Innenstadt mit kurzen Wegen" - da hat der Torsvan sicher verbindliche Definitionen zu:
    A = INNENSTADT
    B = KURZEN WEGEN
    Ich kenne Mehrere die die Gunst haben/hätten sich nach Ankunft am Arbeitsort zu duschen und/oder umziehen könnten. Aber auch jene, die verschschwitzt (und dementsprechend riechend) an ihren Bürojob ankommen.

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