Konzertkritik | Future Islands im Tempodrom - Wie Hamlet, nur als Konzert

Mi 22.05.24 | 08:58 Uhr | Von Hendrik Schröder
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Samuel T. Herring, Sänger von Future Islands live im Berliner Tempodrom am 21.05.2024.(Quelle:picture alliance/PIC ONE/P.Sander-Bauermann)
Audio: rbb24 Inforadio | 22.05.2024 | Hendrik Schröder | Bild: picture alliance/PIC ONE/P.Sander-Bauermann

Die Band Future Islands spielt Musik zum Tanzen und Träumen. Mit Keyboards und Bass. Dass jeder Song gleich klingt, war bei ihrem Auftritt im Berliner Tempodrom völlig egal. Von Hendrik Schröder

Inszenierung ist alles, gerade am Anfang eines Rockkonzertes: Durch eine Art orientalischen Torbogen kommen die Musiker der Band Future Islands um Punkt 21 Uhr auf die Bühne des Berliner Tempodroms geschritten. Strahlend weißes Licht scheint von hinten - es umrahmt ihre Silhouetten. Wie hernieder gefahrene Gottheiten sehen sie aus. Allen voran Sänger Sam Herring, der im Laufe des Abends noch die absolute Hauptrolle spielen und sich das Publikum - etwas zugespitzt - regelrecht unterwerfen soll. Für Außenstehende könnte das alles also durchaus wirken wie ein okkultes Ritual bei dem ein paar tausend nicht mehr ganz junge (aber jung gekleidete) Menschen in Turnschuhen einem Typen huldigen, der nicht nur Sänger, sondern auch Performer, Leidender und Erlöser zugleich ist.

Theaterstück oder Livekonzert?

Nach dem furiosen Intro sieht es auf der Bühne allerdings etwas sehr überinszeniert aus. Der Keyboarder klettert auf den Torbogen - von nun an thront und spielt er in mehr als 2,5 Meter Höhe. Warum auch immer!? Denn das sieht, mit Verlaub, total behämmert aus. Und der Effekt ist, dass die Musiker rein räumlich gar nichts mehr miteinander zu tun haben. Der Bassist steht so weit an der Seite, dass er auf den ersten Blick gar nicht aussieht, als würde er zur Band gehören. Und der Drummer sitzt seitlich zum Publikum und spielt so präzise und stoisch, als habe er mechanische Teile in seinen Gliedmaßen verbaut und ansonsten mit der Szenerie nicht viel zu tun. Man hat gar nicht das Gefühl, dass da eine Band, eine Gang, eine Einheit performt. Es sieht mehr aus wie ein Theaterstück mit Musik.

Schmerz, Trauer und Abgrund

Während all dem turnt, rennt und kugelt Sänger Sam allerdings über die Bühne wie ein ernsthaft Wahnsinniger und mit Unterhaltungswert für drei. Schwarze enge Jeans, schwarzes enges Shirt, ergrauende Haare - alles an ihm klebt vor Schweiß. Und zwar schon nach zwei Minuten. Er rudert mit den Armen, schmeißt sich zu Boden. Er brüllt und zetert, er fleht und stolpert. Und wer in sein Gesicht schaut dabei, aus nächster Nähe, bekommt es mit der Angst, so viel Schmerz, Trauer und Abgrund ballt sich darin. Von dem könnte Lars Eidingers Hamlet sich noch was abschauen, so krass überperformt Sam Herring an diesem Abend im Berliner Tempodrom. Als sei es das letzte Mal, dass ihm irgendjemand zuhören würde.

Drahtseilakt der Emotionen

Und da Future Islands' Sound nunmal sehr dreamy und keyboardlastig ist, meistens aber einen ordentlich marschierenden Midtempo Beat hat, ist das alles auch absolut Tanzbein-kompatibel. So einen Sound macht ja sonst niemand. So verträumt, aber ballernd. So schräg, aber trotzdem massentauglich. So intensiv. Sam Herring liebt diesen Drahtseilakt auf den Amplituden der Emotionen. Dass alle Songs aller sieben bisherigen Alben, wenn man gerade nicht auf die toll poetischen Texte hört, mehr oder weniger gleich klingen (ja, natürlich nicht exakt gleich, aber seien wir ehrlich, schon sehr, sehr ähnlich), ist dabei nicht schlimm. Dadurch bekommt es was hypnotisches, regelrecht reinziehendes. Trotzdem: Nach einer Stunde ist der Abend quasi auserzählt und es passiert nichts mehr. Man hat Herrings Posen verstanden, es gibt keine echten Höhepunkte (bis auf "ancient water" am Ende vielleicht), keine Tiefpunkte. Das liegt vielleicht auch an dem je nach Standort maximal mittelmäßigen Sound an diesem Abend. Sei es drum. Die US-amerikanische Band Future Islands ist trotz der Abnutzungseffekte immer noch spannender, intensiver und sehenswerter als die meisten anderen Bands.

Sendung: Sendung: rbb24 Inforadio, 22.05.2024, 8 Uhr

Beitrag von Hendrik Schröder

7 Kommentare

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  1. 6.

    Ich kann mich der Kritik nicht anschließen. Wie standen links neben dem Mischpult und hatten ein sehr guten Sound.
    Ein Konzert mit Future Island muss man erlebt haben. Die Performance eines Sam Herring ist einmalig und aufjedenfall unterhaltsam und sehenswert. Im Gegensatz zu anderen US Bands wo man gern auch mal dreistellige für ein Konzert bezahlen muss, bekam man für 40 € doch einiges geboten.

  2. 5.

    Ich kann die Kritik nicht teilen, Musik und Kunst sind Dinge wo jeder etwas anders hört und sieht. Wir standen links neben dem Mischpult und hatten sehr guten Sound, bis darauf das es irgendwann recht stickig war in der Halle und einige Tanzfaule neben uns standen kann ich mich nicht beklagen. Auch das man keine 80 bis 100 € für ein Konzert bezahlen muss (was ja mittlerweile Standardpreise sind) ist sehr angenehm und hat den Abend recht angenehm und unterhaltsam gemacht. Future Islands sind wahrlich eine einmalige Band im musikalischem Dschungel und jeder Musikliebhaber sollte sich ein solches Konzert nicht entgehen lassen. Erst recht wegen der Performance eines Sam Herring.

  3. 4.

    Ich habe 3 CDs von Future Islands, habe sie bisher noch nicht live erlebt. Die Konzertkritik ermutigt nicht zum Konzertbesuch, aber der Text ist trotzdem toll...Ich habe mir die Szenen bildlich vorgestellt und musste ziemlich schmunzeln. Besonders der Vergleich mit Lars Eidingers Hamlet hat mir gefallen ;-)

  4. 3.

    wir waren zwei Tage zuvor in der Großen Freiheit in Hamburg beim Konzert. Auch hier war der Sound eine wahre Zumutung! Die Häfte der Vocals waren verschluckt, schier nicht existent und der Bass und die Drums enorm übersteuert. Der Text war nur fragmentarisch zu verstehen. Der Tonmeister hat keine Anstalten gemacht den Gesang sauberer rüber zu bringen. Es wirkte, als ob er gerade die Show trotz Hörsturz durchzieht.
    Schade, wir haben uns mehr Anspruch an die Bühnenperformance erhofft.
    Es hätte so schön sein können!

  5. 2.

    Das ist ja interessant. Ich dachte schon, mit uns stimmt was nicht. Ich fand den Sound furchtbar vor dem Mischpult/ foh (!). Sind dann zum Ausgang geflüchtet, da war es besser. Trotzdem eine Enttäuschung, ich brauche das nicht noch mal...

  6. 1.

    Ich liebe Future Islands, aber gestern musste ich nach 30 Minuten das Konzert verlassen. Spannend zu hören, dass der Sound an anderen Stellen besser gewesen sein sollte. In Block 8 hab ich kein einziges Wort verstanden, was aus dem Mund des Sängers kam.

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