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Annapurna-Trek Nepal Durch das tiefste Tal der Erde

Annapurna-Trek Nepal: Durch das tiefste Tal der Erde
Über Jahrzehnte hinweg galt die Runde um das Annapurna-Massiv als eine der schönsten Trekkingrouten der Welt. Eine neue Trasse bringt nun die Moderne in die Abgeschiedenheit. Und den Zwist.
Von Tom Dauer

Wo sich das Tal zur Schlucht verengt und das Grollen des schwarzen Flusses, des Kali Gandaki, aus der Tiefe hallt, frisst sich die Straße einen knappen Kilometer an einer senkrechten Felswand entlang. Jeep-Fahrer treten das Gaspedal durch, um nicht im Morast stecken zu bleiben, Busse schwanken bedrohlich hin und her, und aus ihren Fenstern blicken die Passagiere in einen beängstigenden Abgrund. Niemand verweilt hier länger als unbedingt nötig.

Und genau an dieser Stelle hat Balaram Nepal einen Großteil seines Lebens verbracht, in Staub und Dreck. Tagsüber hat er Steine geschleppt, mit dem Hammer zu Quadern geklopft und zu Stützmauern geschichtet, hat Erde geschaufelt, Zement gemischt, Sprengladungen gezündet und sich so zum Vorarbeiter hochgedient. Nachts hat er in einer Felsnische geschlafen, geschützt von blauen Zeltplanen. Sieben Jahre lang haben er und seine Männer den Bau dieser kühnen Straße vorangetrieben. 34 sind dabei gestorben. Von Geröll erschlagen, hinuntergestürzt in den Fluss.

Dann endlich, 2009, war die Beni-Jomsom-Road vollbracht. 82 Kilometer lang windet sie sich von 830 auf 2720 Meter Höhe, vom Hügelland ins Hochgebirge, durchquert zwei Distrikte, immer dem Lauf des Kali Gandaki folgend, der zwischen den Achttausendern Annapurna und Dhaulagiri die tiefste Schlucht der Erde geschnitten hat. Knapp zwölf Monate später sind nun auch die letzten Arbeiten getan; Balaram Nepal wird heimkehren. Er ist 27 Jahre alt, er hat gut verdient. Jetzt will er sich eine Frau suchen und heiraten. Wen oder was die Beni-Jomsom-Road bringen wird, das interessiert ihn nicht.

Das Aus für die Annapurna-Runde

Dabei ist wohl keine andere Verbindung im Himalaya ähnlich umstritten wie diese Straße, die eigentlich keine ist. "Dirt road" würde man sie im Englischen nennen: dreckig, unbefestigt, einspurig, mit tiefen Spurrillen und Schlaglöchern. Ein Achsenbrecher. Nach Regenfällen wird die Trasse regelmäßig von Erdrutschen verschüttet, spülen Wassermassen ganze Abschnitte davon. In den Alpen ist fast jeder Almweg in besserem Zustand.

Dennoch setzen viele Menschen entlang des Kali Gandaki große Hoffnungen in die Straße. Sie erwarten Wohlstand durch bessere Anbindung, sinkende Preise, mehr Angebot oder auch nur, schneller zum Arzt zu kommen. Gegner jedoch befürchten, dass das Gegenteil eintreten wird: dass die Straße diejenigen abschreckt, die bislang durch die Dörfer wanderten. Dass Gäste in den Lodges ausbleiben und Läden schließen. Denn seit die Schotterpiste fertig ist, wird in Zeitungsartikeln, Internetforen, in Blogs und Wanderführern geklagt und gestritten: Eine der weltweit schönsten Trekkingtouren, heißt es da, sei für immer zerstört. "Die Annapurna-Runde", lautet das Urteil, "ist tot."

"Früher, sagt Lodge-Besitzer Prem Pasad Tulachan, "hatten wir 50 Gäste pro Nacht, manchmal gar 200. Und in der Hauptsaison? Garantiert ausgebucht!" Jetzt bleiben die Zimmer leer - obwohl der Standard in seiner "See you Lodge" hoch ist: frische Handtücher, Bonbons auf dem Kopfkissen, Sandaletten fürs Bad. Tulachan glaubt, das erwarteten Menschen, die bei ihm in Kalapani Station machen und für ein geführtes Komfort-Trekking rund um den Annapurna insgesamt etwa 2500 Euro ausgeben. Und "diese Straße", sagt der 50-Jährige, habe "in der Angelegenheit" zunächst mehr Fluch als Segen gebracht. Trekker, die auf ihrem langen Weg vom Thorong-La-Pass zurück ins Tal früher auch in Kalapani aßen, tranken, schliefen und einkauften - sie fahren jetzt in Jeeps, in Bussen und ohne anzuhalten durch die Dörfer. Warum gehen, wenn man auf weniger anstrengende Weise vorankommen kann?

Im Schatten des zehnthöchsten Berges der Erde

Annapurna ist in der hinduistischen Kosmologie die Göttin des Korns und des Überflusses. An der Südseite des Massivs lädt der Monsun seine nasse Fracht ab, was die Region zu einer der fruchtbarsten Gegenden Nepals macht. Auf der Nordseite des Achttausenders dagegen befindet man sich im Windschatten des zehnthöchsten Berges der Erde - wo selbst in den regenreichsten Monaten kaum Niederschlag fällt. In Jomsom, dem Verwaltungszentrum von Mustang, weht deshalb Staub durch die Gassen, von Bussen, Jeeps, Traktoren aufgewirbelt. Die Augen tränen.

Bisher war Jomsom eine Durchgangsstation, die man als Annapurna-Runden-Wanderer so schnell wie möglich hinter sich ließ. Nun drängen sich im Hotel Majesty ganz andere Touristen um das Frühstücksbuffet: 70 Inder. Sie husten, sie sind die Höhe von fast 3000 Metern nicht gewohnt. In Kurtas, Pullovern, Jacken, Mützen und Handschuhen wappnen sie sich gegen Temperaturen von knapp zehn Grad, die sie als kalt empfinden. Es geht hektisch zu, die meisten wollen so bald wie möglich nach Muktinath aufbrechen, zu jenem Ort, an dem Hindus sich - ihrem Glauben nach - von schlechtem Karma und der Summe all ihrer begangenen Sünden reinzuwaschen vermögen: einem der wichtigsten Pilgerorte im Himalaya. Seit man ihn bequem in Bus und Jeep erreichen kann, kommt es in Muktinath zur wunderbaren Gläubigenvermehrung: 2009 kamen 150.000 hinduistische und buddhistische Pilger, 2000 war es nur ein Bruchteil dessen. Am Jahresende 2010, so Vishnu will, wird wieder ein neuer Rekord stehen.

Mit dem Bus nach Muktinath pilgern

Das Zentrum der Anlage bildet die Tempelpagode von Vishnu, dem "Alldurchdringenden", vor der sich Asketen - barfuß, in dünne Tücher gehüllt, die Gesichter weiß gekalkt, die Haare jahrelang gewachsen - für Fotos und Videos in Pose werfen. Bevor sie sich in ihre Höhlen rund um den Tempel zurückziehen, teilen sie die Geldgaben des Tages unter sich auf. Die meisten von ihnen sind zu Fuß nach Muktinath gekommen, das soll dem Karma dienen. Zurück können und wollen sie sich trotzdem den Bus leisten. Auf schmale Sitze gekauert, die Schulter an der des Nachbarn reibend, schweißnass an Armen, Rücken, Beinen, die Knie an die Vorderlehne gepresst, werden sie Richtung Tal reisen - und froh sein über die Straße, die es ihnen erlaubt, ein wenig weniger asketisch zu sein.

Kurz vor dem Haupttor findet man den Laden, in dem Ritu Lama Gurung lächelnd empfängt, freundlicher Langmut, die Haare kurz geschoren. Die 17-Jährige trägt das rote Leinengewand buddhistischer Nonnen, verkauft Wasser, Coca-Cola, Schokoriegel und getrocknete Nüsse, alles mit dem Bus geliefert. Auch Devotionalien sind hier gestapelt. Für Pilger, die in letzter Minute eine Opfergabe erstehen möchten: Blumenkränze, Schals, Reis, Bananen und Kokosnüsse. Mit den vielen Hindus, sagt die Buddhistin, mache sie das beste Geschäft: "Ihr Geld können wir für das Kloster gut brauchen. Über die Straße freue ich mich deshalb sehr." Beschenkt werden sollen nun bald auch die Menschen nördlich von Jomsom im ehemaligen Königreich Mustang. In einer Gegend, deren Besuch westlichen Touristen bis 1992 strikt verboten war. Heute dürfen sie in Gruppen und gegen eine hohe Gebühr in das einst verschlossene Königreich. ??

In die alte Hauptstadt Lo Manthang führt seit 2001 eine Straße, aber nur von tibetischer Seite. Das missfällt der nepalesischen Regierung, auch weil auf diese Weise chinesische Billigware den Weg ins Land finden kann. Es wird daher nicht mehr viel Wasser den Kali Gandaki herunterfließen, bis die Beni-Jomsom-Road über Jomsom hinaus nach Lo Manthang verlängert sein wird - 50 Kilometer plus. 2011, spätestens 2012, soll es mit dem Übergang nach Tibet so weit sein, versprechen Vertreter lokaler Behörden.

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