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Jung-von-Matt-Sports-Chef "Größe zieht Größe an – mit Miami hat Messi die richtige Wahl getroffen"

Der argentinische Superstar Lionel Messi wechselt überraschend zum MLS-Club Inter Miami
Der argentinische Superstar Lionel Messi wechselt überraschend zum MLS-Club Inter Miami
© Sven Simon / Imago Images
Weltstar Lionel Messi wechselt nicht nach Saudi-Arabien – sondern in die USA. Sport-Experte Robert Zitzmann glaubt, dass Amerika das spannendste Fußballland der nächsten Jahre werden könnte.

Herr Zitzmann, Lionel Messi hat seinen Wechsel nach Miami verkündet. Viele Fußballfans hat das überrascht – Sie als Markenexperte auch?

Nein, tatsächlich nicht. Die Gerüchte um Saudi-Arabien waren nach seinen Sponsorendeals dort zwar groß, aber Messi hat als Marke mit Miami die klügere Entscheidung getroffen. Er kommt jetzt in ein popkulturelles Umfeld, das zwar nicht die gleiche emotionale Romantik hat wie eine Rückkehr nach Barcelona, aber seine Rolle als globalen Fußballbotschafter und Fanmagnet verstärkt. Die USA sind der wachstumsstärkste internationale Fußball-Markt für die nächsten fünf bis zehn Jahre und Messi hat bereits vor seinem ersten Spiel bewiesen, dass er dieses Wachstum auf das nächste Level heben wird.

Warum denn Miami? Es hätte auch andere Clubs in den USA gegeben, die sportlich attraktiver gewesen wären…
Fußball in den USA ist eigentlich ein "pocket market". Es gibt also unglaublich viele kulturelle und sozio-ökonomische Unterschiede zwischen Städten und Regionen im Land – und damit auch für die Communitys der Clubs. Miami ist hier, analog zu Los Angeles, das Tor nach Mittel- und Südamerika. In Miami leben viele spanischsprachige Menschen, und in deren Heimatländern spielt Fußball noch eine deutlich größere Rolle als in anderen konservativeren Regionen im Landesinneren der USA. Außerdem ist Miami eine Hauptstadt für Sport und Lifestyle: Viele Stars leben dort, es gibt mit den Miami Heat ein Premium-NBA-Team, außerdem ist die Formel 1 jedes Jahr mit ihrem größten Event zu Gast. Miami ist auch aufgrund vieler weltweiter Blockbuster eine der ikonischsten Städte der USA. Es ist also nicht nur ein regionaler Standort, sondern ein wachsender internationaler Hub. Das Paket hat es für die Marke Messi interessant gemacht, im Zusammenspiel mit den Ambitionen des noch jungen Clubs und David Beckham als Mitinhaber. Neben Miami wäre wohl nur Los Angeles eine gute bis bessere Alternative gewesen.

Robert Zitzmann ...

... ist Partner und Managing Director der Agentur Jung von Matt Sports. Zitzmann ist Diplom-Sportökonom und arbeitete vor Jung von Matt Sports unter anderem beim Rechtevermarkter Sportfive, der ATP und der UEFA Champions League. Er ist außerdem Mitglied des Digitalbeirats des FC St. Pauli und ehrenamtlicher Vorstand des Sheffield FC – dem ältesten Fußballclub der Welt.

Andererseits gibt es in den USA schon unglaublich viele Stars. Wie wichtig ist also der Transfer von Messi für die MLS?
Extrem wichtig. Allein, dass sich Messi gegen Barcelona und das Geld aus Saudi-Arabien entschieden hat, zeigt in der Rückbetrachtung die gestiegene Relevanz der MLS. Miami hat durch den Transfer mal eben seine Social Media-Reichweite von einer auf 7,6 Millionen Follower versiebenfacht und kann jetzt mehr Menschen erreichen als jedes einzelne NFL-, NHL- oder MLB-Team. Es ist, Stand heute, eines der größten Social-Media-Followings im gesamten Sportland USA. Daran lässt sich die Bedeutung schon quantifizieren. Und auch sportlich kann man von Messi hoffentlich noch ein, zwei gute Jahre erwarten.

Haben die Vermarktungsmöglichkeiten mit Messi gegenüber den sportlichen Gründen überwogen?
Nein, die sportlichen Erwartungen an ihn dürften immer noch hoch sein. Die Marke Messi spielt vor allem Fußball und findet auf dem Fußballplatz statt. Dort will man ihn auch in erster Linie sehen.

Der Wechsel ist auch aus Finanzierungssicht interessant, weil zahlreiche Sponsoren involviert sind. Adidas und Apple beteiligen Messi jetzt zum Beispiel am Umsatz – was, wenn es gut läuft, auf hunderte Millionen Euro hinauslaufen könnte. Warum lassen sich Großkonzerne auf solche Deals ein?
Das ist ein Beispiel für die innovative, kollaborative und kreative Denke des US-Sportmarkts. In den USA gilt das Prinzip, am gemeinsamen Erfolg partizipieren zu können, auch wenn es einige regulatorische Hürden gibt. Das birgt natürlich auch Gefahren, weil Messi nicht nur das bisherige Gehaltsgefüge sprengen wird, sondern mit diesem Shared-Revenue-Modell auch Trittbrettfahrer anlocken wird. Der US-Markt tickt aber grundsätzlich etwas anders. Dort funktioniert das Prinzip der "gravity of greatness". Das beste Beispiel ist der Super Bowl. Man erzählt sich dort selbst, dass man das größte Event, die größten Deals, die teuersten Sponsorenverträge abschließt. Und irgendwann erreicht man diese Größe tatsächlich durch das gute Storytelling. Und weil Größe Größe anzieht. Die MLS macht das jetzt genauso: Sie holt den größten Superstar ins Land, wodurch das Renommee der Liga und des Produkts sofort steigt. Und davon profitiert im Dreieck Sport-Medien-Sponsoren auch Apple, die mit Messi den Wert ihrer exklusiven MLS-Übertragungsrechte nach oben katapultieren können.

Würden solche Deals denn getätigt werden, wenn nicht in drei Jahren eine WM in den USA anstehen würde?
Das ökonomische Wachstum des US-Fußballs ist einerseits ganz natürlich, weil die USA der bedeutendste Sport- und Entertainment-Markt der Welt ist. Darüber hinaus ist die WM auf jeden Fall ein Katalysator für das bestehende Wachstum. Und dieses Wachstum in den USA ist nicht mit dem im Nahen Osten zu vergleichen, wo Fußball vor allem eine geo- und staatspolitische Bedeutung hat. In den USA ist Fußball vor allem ein Fan- und Medienmarkt. Das bestätigt sich auch durch die Bemühungen europäischer Top-Clubs, die seit Jahren im Sommer in die USA reisen, um durch Kooperationen mit MLS-Teams und Universitäten neue Fans zu gewinnen. Und ja: Die Perspektive der WM ist hier sicherlich eine spielentscheidende Position, aber eben nicht die Einzige.

Wie werden sich die USA denn in Konkurrenz zu Saudi-Arabien positionieren, das die Stars mit immer mehr Geld lockt?
Die USA werden ihren eigenen Weg gehen, und alleine aufgrund der bestehenden Gehaltsobergrenze ihre Attraktivität nicht nur über Geld und Gehälter entwickeln. Es geht vielmehr darum, ein Orchester aus starken Spielern, Medien und Clubmarken zu schaffen sowie den Zugang zur wichtigsten Entertainment- und Werbeindustrie der Welt. Für die MLS muss es darüber hinaus auch um die sportliche Wettbewerbsfähigkeit im amerikanischen Verband Concacaf gehen, um auch mal ein Team zur Klub-WM der Fifa schicken zu können.

In der Vergangenheit sind immer wieder Weltstars in die MLS gewechselt: Bastian Schweinsteiger, Zlatan Ibrahimovic, David Beckham – und in den 1970ern schon Spieler wie Franz Beckenbauer oder Pelé. Warum hat der US-Fußball bislang trotzdem nicht die Größe von American Football, Eishockey oder Basketball erreicht?
Solche Vergleiche sind immer schwierig. Grundsätzlich liegt das natürlich an der Historie einer Sportnation. Fußball ist sportkulturell nicht originär in den USA verankert und es gibt bis heute nur wenige internationale Superstars. Anders als in Europa sind die ersten und bis heute wichtigsten Stars im US-Fußball Frauen, nicht Männer. Die US-Frauen sind mehrfache Weltmeisterinnen und die NWSL ist eine weltweit anerkannte Spitzenliga. Und Megan Rapinoe ist die vielleicht wichtigste Botschafterin des Frauenfußballs. Darüber hinaus sind die amerikanischen Ligen im Basketball, Baseball oder Eishockey globale Exportschlager und die jeweilige Benchmark ihrer Sportarten. Die NFL ist heute die zweitstärkste TV-Sportart in Deutschland. Dazu kommt der College-Sport. Darüber hinaus ist es aber auch nicht ratsam, sich ständig an anderen und größeren Ligen zu orientieren. Der Fußball muss auch in den USA seinen eigenen Weg gehen. Die WM sorgt hier gerade sicher für einen Boost – und gleichzeitig gibt es eine leise globale Abkehr der europäischen Fußballindustrie von China, die sich vor allem durch Corona und das Einreiseverbot entwickelt hat. Ich glaube, dass die MLS in den USA mittelfristig die Nummer drei werden wird – nach der NBA und der NFL. Er wird also Basketball und Eishockey überholen. Nicht als TV-Sportart, aber durch lokales Fanwachstum. Und wie gesagt: Bei den Frauen ist Fußball schon jetzt der größte partizipative Teamsport.

Interessieren sich die US-Fußballfans denn tatsächlich für die MLS oder vor allem für die großen europäischen Spitzenteams?
Wir haben das in einer aktuellen Studie untersucht und tatsächlich ist die MLS die mit Abstand relevanteste Liga für US-Fans. Erst weit dahinter kommt irgendwann die Premier League und danach die spanische La Liga. Die Amerikaner unterstützen fast immer ihren Club vor der Haustür. So entsteht eine starke Regionalisierung um die Clubs herum.

Warum ist das so? Bei asiatischen Fans zeigen Studien etwas anderes…
Amerikanische Fans sind sehr eventaffin, gemeinschaftsorientiert und sozial engagiert. Und diese Fankultur spiegelt sich in Teilen auch bei anderen US-Sportarten. In China oder im Nahen und Mittleren Osten ist es komplett anders. Zum einen, weil das Leben abseits von Sport generell viel weniger in emotional vernetzten Communities stattfindet, zum anderen weil Sport dort als Unterhaltungsangebot generell eine andere historische und kulturelle Prägung hat. Das war bei der WM auch sehr interessant zu beobachten: Die größte anwesende Fanbase für Argentinien kam aus Pakistan. Denn auch da gibt es keine lokalen Helden oder ein Nationalteam, das schon einmal die WM gewonnen hat. Amerikanische Markenbildung funktioniert hingegen sehr stark über Tribes, also über Menschengruppen, die verzahnt und vernetzt sind und die gemeinsam einen Hype auslösen können. Der Best Case in der MLS ist mit Abstand der amtierende Champion LAFC. Die haben es geschafft in weniger als fünf Jahren eine ganze Stadt hinter sich zu bringen, die bislang nur die Lakers, die Dodgers oder die Rams kannte.

Dieser Artikel ist zuerst an dieser Stelle bei "Capital" erschienen.

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