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Meditativer Bewegungsfluss Ashtanga-Yoga: Wieso der härteste Yoga-Stil für jedermann geeignet ist

Gruppe von Menschen beim Yoga in Israel
Ashtanga-Yoga gilt als sehr dynamisch und fordernd. Die Praxis soll Übende in einen meditativen Zustand versetzen.
© Nir Alon / Picture Alliance
Ashtanga-Yoga ist nicht nur der Ursprung aller heute populären Yoga-Stile, sondern gilt auch als besonders fordernd. Trotzdem kann jedermann die Bewegungsabfolgen üben.

Schweißnasse Körper, rauschender Atem und dynamische Bewegungsabläufe – Ashtanga gilt als herausfordernde und anstrengende Praxis und wird nicht selten als der härteste unter den Yoga-Stilen bezeichnet. Ein Vorurteil, findet Ronald Steiner. Der Sportmediziner unterrichtet seit über 25 Jahren selbst Ashtanga-Yoga und ist der Überzeugung, dass die Praxis für jedermann zugänglich ist.

Ashtanga-Yoga entstand im Jahr 1924 und wurde damals von Yoga-Guru Krishnamacharya in der indischen Stadt Mysore konzipiert. Davor sei Yoga eine reine Meditations- und Atempraxis gewesen. Krishnamacharya war der Erste, der die Körperübungen – "all die Asanas, die wir heute so markant für Yoga kennen" – in die Praxis integrierte.

Ashtanga-Yoga hat Einflüsse aus der Gymnastik

Damit wurden bekannte Haltungen wie das Dreieck oder der Krieger erstmals Bestandteil des Yoga. Krishnamacharya ließ sich dabei einerseits von bereits bestehenden Yoga-Übungen inspirieren und andererseits von einer dänischen Fitness-Bewegung, der Bukh-Gymnastik, die sogar vom englischen Militär geübt worden war.

Die Praxis veränderte sich damit zwar, das Ziel im Yoga blieb aber stets das Gleiche: "Es ging und geht immer noch darum, einen meditativen Zustand zu erfahren", betont Ronald Steiner im Gespräch mit dem stern. Um das zu erreichen, stützt sich Ashtanga-Yoga auf drei Säulen. Die Grundlage der Praxis heißt Tristhana und bezeichnet eine "vom Atem geführte, bewegte Meditation", erklärt der Experte. 

Dr. Ronald Steiner in einer Yoga-Pose
Dr. Ronald Steiner unterrichtet seit mehr als 25 Jahren Ashtanga-Yoga und bildet selbst Lehrer aus
© Nela König

Der Atem gibt den Rhythmus vor. Die Schüler sollen in den sogenannten Ujjayi-Atem kommen. Dabei wird lautlos durch die Nase eingeatmet und mit einem leicht rauschenden Geräusch durch die verengte Kehle ausgeatmet. Auf diesem Takt "bewegen wir den Körper, lenken die Energie und verändern unsere Blickpunkte", erläutert der Yogalehrer. Im Zusammenspiel entstehe dabei im Gehirn das Phänomen der Synchronizität. "Das löst den meditativen Zustand aus."

Ashtanga als Ursprung beliebter Yoga-Stile

Die Idee von Tristhana – Atem als Grundlage für einen meditativen Bewegungsfluss – ist von nahezu allen modernen Yogastilen übernommen worden. Deshalb gilt Ashtanga auch als Ursprung aller heute populären Stilrichtungen von Vinyasa Yoga über Power Yoga bis hin zu Bikram Yoga.

Anders als bei diesen Yoga-Arten führen die Schüler im Ashtanga immer wieder die gleiche Bewegungsabfolge aus. Das unterscheidet die Praxis von allen anderen Stilrichtungen. Traditionell gibt es im Ashtanga vier Serien, die sich aus einzelnen Körperhaltungen, den Asanas, zusammensetzen. Diese werden jeweils für fünf Atemzüge gehalten und in einer fließenden Bewegung miteinander verknüpft.

Die Übenden sollen die Abläufe schnellstmöglich lernen und eigenständig ausführen können. "Wenn wir die Abfolge nicht genau kennen, müssen wir immer auf einen Spickzettel schauen oder auf die Ansage des Lehrers warten und können das Zusammenspiel aus Atem, Bewegung, Energie- und Blicklenkung nie so synchron hinbekommen", sagt der Sportmediziner.

Ashtanga-Yoga sollte individuell zugeschnitten werden 

Das dritte Merkmal von Ashtanga-Yoga ist der Unterricht im sogenannten Mysore-Style. Die Stunden zeichnen sich dadurch aus, dass jeder Schüler selbstständig in seinem Atemrhythmus die Abläufe ausführt. Der Lehrer macht keine Ansagen vor der Klasse, sondern assistiert individuell. "Jeder lernt einzeln und stückweise die Übungsfolge", sagt der Yogalehrer. Deshalb sei Ashtanga auch für Menschen aller Altersgruppen und auch für Yoga-Anfänger geeignet. "Man benötigt nur einen erfahrenen Lehrer, der einem hilft, die Serien für den eigenen Körper zuzuschneiden."

Das Klischee von Ashtanga als körperlich harte Praxis liegt in seinen Augen daran, "dass es leider oft schlecht unterrichtet wird". Die Mehrheit der Trainer halte an einem militärischen Unterrichtsstil fest und jage die Schüler ohne Rücksicht auf den Körper durch die Übungen. Ein grober Fehler, findet Ronald Steiner. Damit schließe man einerseits eine Vielzahl von Menschen von der Praxis aus, andererseits erhöhe sich dadurch das Verletzungsrisiko.

Ashtanga verlangt Ernsthaftigkeit

Wichtig sei, dass die Übungen individuell auf den jeweiligen Körper zugeschnitten werden. "Dann kann wirklich jeder Mensch Ashtanga üben, auch wenn man eine Verletzung oder Einschränkung hat." Jedoch sei Ashtanga auf einer anderen Ebene ein harter Yogastil. "Die Praxis richtet sich nämlich an Menschen, die tief in Yoga eintauchen und nahezu täglich üben wollen", erläutert der Sportmediziner. Er beschreibt die Praxis als "extrem kraftvolle und unheimlich direkte Übungsmethode, um einen meditativen Zustand zu erfahren".

Yogalehrer Dr. Ronald Steiner assistiert eine Yogaschülerin
Die Ashtanga-Praxis sollte individuelle auf jeden Körper zugeschnitten werden, findet Dr. Ronald Steiner

© Paul Königer

Zielgruppe im Ashtanga-Yoga seien Menschen, die selbstständig und diszipliniert üben wollen. "Das verlangt einfach mehr Ernsthaftigkeit." Sobald man die Bewegungsabfolgen kenne und mit Hilfe eines Lehrers eine solide Grundpraxis aufgebaut habe, kann man laut Steiner problemlos Zuhause üben. Das sei sogar das erklärte Ziel der Praxis. "Trotzdem macht es Sinn, immer mal wieder mit Begleitung zu üben, aber die Grundpraxis findet auf der eigenen Matte statt."

Ashtanga-Yoga als lebendige Tradition

Wer sich der Praxis verschreibt und regelmäßig übt, könne nicht nur während dem Yoga einen meditativen Zustand erfahren, sondern auch im Alltag zu mehr Harmonie und Balance finden. Das gelte sowohl für den Geist als auch für den Körper, der durch die Praxis langfristig mehr Kraft, Ausdauer und Flexibilität erlangt.

Die Idee von Krishnamacharya, den Körper in die meditative Praxis einzubeziehen, bezeichnet Steiner als "genial". Dem Sportmediziner ist aber wichtig, Ashtanga als lebendige Tradition zu sehen, die sich stetig weiterentwickelt. Seine Philosophie, das ursprüngliche Yoga mit modernen, bewegungsphysiologischen Aspekten zu verbinden, gibt er in zahlreichen Aus- und Weiterbildungszentren an Schüler und andere Ashtanga-Lehrer weiter.

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