Lesen Sie alle Beiträge zum Schwerpunkt Brucknerjahr 2024
Im Jahr 2024 wurde anlässlich 200 Jahre Anton Bruckner ein besonderes Jahr ausgerufen: die Kultur-Expo „AntonBruckner 2024“. Sie sind ihr künstlerischer Leiter. Wie ist die Expo angelaufen?
Norbert Trawöger: Wir wollten kein Gedenkjahr machen, sondern eine Bewegung initiieren, haben uns umfassend vorbereitet und der durchaus ambivalenten Figur Anton Bruckner viel zugetraut. Und ich sage schon heute in großer Dankbarkeit, die Bewegung, die durchs Land geht, ist schlichtweg umwerfend.
Das ganze Land ist zu einer großen Symphonie geworden, mit Stimmen, Gegenstimmen, unterschiedlichen Instrumenten und Farben – und vor allem neuen Möglichkeiten, ein Wir zu finden. Vom „Crash-Kurs“ bis zur Schorgel, von den großen Konzerten und Ausstellungen bis zum Klangwald, dem Kunstautomaten bis hin zum Bruckner-Most. Die Liste wird täglich länger. Bruckner regt uns an, bringt uns zusammen und schafft einen neuen Resonanzraum, der nicht Lebensverzierung ist, sondern gesellschaftliche Wirklichkeit.
Bruckner haben Sie schon als Achtjähriger gehört, die Begeisterung ist geblieben. Was fasziniert Sie an der Person Bruckner?
Trawöger: Seine oberösterreichische Biografie führt in die Welt hinaus. Mich beeindrucken seine Leidenschaft und seine Resilienz. Er war Halbwaise, kein Wunderkind, Sozialaufsteiger, der sich bis zum Umfallen ausbildet, sich von großen Krisen nicht beeindrucken lässt.
Er war ein ewig Lernender, Zweifel und Selbstgewissheit gehörten zu ihm. Er war zudem ein guter Tänzer und Schwimmer, der sein Genie bis zum letzten Atemzug freilegt. Er mutiert vom Kirchenmusiker, vom Weltorgelimprovisator zum Weltsymphoniker. Er ahnte als Hilfslehrer in seinem 6-Quadratmeter-Zimmer in Kronstorf, das heute das kleinste Brucknermuseum der Welt ist, dass der Weltraum seine Dimension ist.
Bruckner ist in aller Munde. Was bringt es neben Wissen- und Horizonterweiterung, sich mit Bruckner zu beschäftigen?
Trawöger: Bruckner wirkt wie ein Vergrößerungsglas in unsere vielfältige Kultur. Ein gesteigertes Bruckner-Bewusstsein kann uns bewusster machen, in welch unglaublich vielfältigem Kulturraum wir in unserem Logenplatz im Weltgeschehen leben dürfen.
Es geht um Zusammengehörigkeit, da steckt das Hören drinnen. Bruckner reißt dabei die Fenster in die Welt auf. Seine Musik ist Wir-Musik, die das Ich nur im Du kennt. In diesem Wortsinn ist er ganz katholisch, allumfassend, der Choral trifft auf die Polka, das Alte auf das Neue und mittendrin sind wir. Wobei ich auch anmerken muss, dass ich den „Musikanten Gottes“ stark in Zweifel ziehe: Das ist ein übles Klischee aus dem Jahr 1924. Bruckner überwindet in seiner klingenden Spiritualität Grenzen, nichts ist hermetisch abgeschlossen.
Es geht um das WIR: Wir spielen etwas vor! Wir sind im Gespräch! Wir gestalten etwas! Wir erinnern dabei an das Menschliche, auch das Fremde zu schätzen, die andere Meinung gelten zu lassen, auch wenn ich sie nicht teile. Es geht um Offenheit und Respekt. Oder wie Balduin Sulzer einmal gesagt hat: „Im Zweifel für das Unbekannte!“
Wir sind mitten im Kultursommer und im Brucknerjahr. Wie soll es danach weitergehen?
Trawöger: Kultur ist kein Standbild, wir müssen auch in Zukunft dahinter sein, dass diese erhöhte Schwingung nicht verloren geht, es muss nicht immer Bruckner sein. Für die Bewegung müssen wir alle sorgen. Heuer machen wir Erfahrungen in größeren Zusammenhängen und natürlich braucht es weiterhin stimulierende Formate und ausreichend Mittel dafür.
Welche Themen meinen Sie?
Trawöger: Es geht um das Wunder der Musik, um die Wichtigkeit der Kunst für die Gesellschaft: die Offenheit für das Neue, es geht um das Dazwischen, die Widersprüchlichkeit, um Neugierde, Risikofreudigkeit als Grundhaltung. Musik und Kunst zeigen das vor, sie sind daher unersetzlich für Bildung und Ausbildung. Was vielleicht nicht so bewusst ist: Österreich ist Weltmarktführer in Sachen Kunst und Kultur, das ist kein Festspiel, sondern gesellschaftliche Realität. Diese Verantwortung braucht Bewusstsein und auch Geld.
Dirigent Franz Welser-Möst hat mehrmals kritisiert, dass Österreich als Musikland in die Mittelmäßigkeit zurückfalle und von anderen Ländern überholt werde, was Spitzenleistungen im Musikgeschäft angeht. Wie sehen Sie das?
Trawöger: Unsere Mentalität verwechselt gelegentlich gehobene Mittelmäßigkeit mit Gemütlichkeit. Mit einem „Passt schon!“ sollten wir uns nicht zufriedengeben. Es geht immer darum, Grenzen zu weiten, sich für die Welt und das Du einzusetzen und zu verausgaben.
Sie waren schon immer sehr umtriebig als Musiker, Lehrer, Schreiber. Heuer sind Sie als künstlerischer Leiter der BrucknerEXPO und als künstlerischer Direktor des Bruckner-Orchesters Linz auf vielen Kanälen präsent: Kaum eine Woche, in der nicht ein Artikel, Radio- oder Fernsehbeitrag mit Ihnen erscheint. Wie schaffen Sie das?
Trawöger: Ich lebe und liebe den Ausnahmezustand eines intensiven Lebens, was viel Disziplin und wenig Schlaf erfordert. Man verausgabt sich, man gibt viel, aber man bekommt auch ungeheuer viel zurück, und manches bleibt unvollendet. Die Gefahr ist, wenn man erfolgreich ist, dass man nicht mehr kritikfähig ist. Daher ist es wichtig, den Zweifel zu lieben, verletzlich zu bleiben, sich nicht ganz sicher zu sein, sich auszuliefern, sich zu zeigen.
Ich lebe in großer Dankbarkeit, dass ich zufällig in diesem Land geboren bin und die Möglichkeit des Gestaltens habe. Ich halte dies für meine Pflicht, diese täglich zu versuchen und wahrzunehmen. Und das Wichtigste ist, sich selber nicht zu ernst zu nehmen und sehr viel über seine Unzulänglichkeiten und vor Glück zu lachen!
www.anton-bruckner-2024.at/ooe-kulturexpo
Bruckner!
Der Musiker und Autor Norbert Trawöger macht Lust auf Bruckner aus einem anderen Blickwinkel: Er stellt in seinem „Journal einer Leidenschaft“ vielfältige Bezüge zur Landschaft Oberösterreichs, zum Leben, zur Gesellschaft und zur Kunst her und entstaubt, befreit den großen Komponisten von manchen Klischees. Trawöger zeigt auf, wie unglaublich lernwillig Bruckner war, wie widerständig und resilient. Persönliche Zugänge und Erlebnisse, fiktive Briefe an Bruckner machen die Lektüre immer wieder zu einem Genuss.
Norbert Trawöger, Bruckner! Journal einer Leidenschaft, Residenz Verlag 2024, € 22,–
Anton Bruckner
„Der fromme Revolutionär“ heißt das Buch zur gleichnamigen Ausstellung in der Österreichischen Nationalbibliothek.
Für alle, die an Bruckners Leben interessiert sind, ein detailreiches Nachschlagewerk mit informativen Fachbeiträgen und gut aufbereiteten Fotos aus Bruckners Leben. Biografische Stationen beleuchten seinen Werdegang. Bruckner wird porträtiert als musikalischer Neuerer von großer Kühnheit. Historische Dokumente, Briefe, Programm-Ankündigungen und Plakate geben Einblick in das gesellschaftliche Leben zur Zeit Bruckners und dokumentieren die Vielfalt des musikalischen Lebens im 19. Jahrhundert.
Andrea Harrandt, Thomas Leibnitz (Hg.), Anton Bruckner. Der fromme Revolutionär, Österreichische Nationalbibliothek, € 34,90
Anton Bruckner
„Anton Bruckner & Sankt Florian. Wie alles begann“, so lautet das Buch zur Ausstellung in St. Florian, das Friedrich Buchmayr und Felix Diergarten herausgegeben haben. Im Fokus ist hier das Stift als fruchtbarer Ort für die Entwicklung von Bruckners Talent. Der schön gestaltete Band widmet sich den frühen Jahren Bruckners. Briefe, Fotografien, Skizzen, Partituren bereichern den Band, der den neuesten Stand der Wissenschaft präsentiert.
Friedrich Buchmayr, Felix Diergarten, Anton Bruckner & Sankt Florian. Wie alles begann. St. Florian, mury salzmann, € 39,–
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