„Shisha-Mord“: Von Anfang an den Falschen im Visier
Lange Zeit war die Staatsanwaltschaft davon überzeugt, zumindest einen der zwei Männer zu haben, die im Juli 2022 den damals 27 Jahre alten Terry S. kaltblütig hinrichteten. Der Fall machte als „Shisha-Mord“ Schlagzeilen und markierte einen der brutalen Höhepunkte des auf Hamburgs Straßen ausgetragenen Krieges um Drogen, Geld und Macht. Doch zum Prozessende muss die Staatsanwaltschaft zugeben, dass Okan Ö. nichts mit dem Mord zu tun hat.
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Lange Zeit war die Staatsanwaltschaft davon überzeugt, zumindest einen der zwei Männer zu haben, die im Juli 2022 den damals 27 Jahre alten Terry S. kaltblütig hinrichteten. Der Fall machte als „Shisha-Mord“ Schlagzeilen und markierte einen der brutalen Höhepunkte des auf Hamburgs Straßen ausgetragenen Krieges um Drogen, Geld und Macht. Doch zum Prozessende muss die Staatsanwaltschaft zugeben, dass Okan Ö. nichts mit dem Mord zu tun hat.
S. saß in der Shisha-Bar an der Lübecker Straße und rauchte eine Pfeife. Zwei Männer – ihre Gesichter waren mit OP-Masken bedeckt, einer trug ein Käppi, der andere einen Fischerhut – kamen auf ihn zu. Einer zog eine Pistole und drückte ab. S. starb, das Duo verließ den Laden. Die Polizei vermutete einen Streit im Drogenmilieu als Motiv.
Der Begleiter des Schützen wurde in der Anklage als Okan Ö. identifiziert. Er und seine Anwältin, die Strafverteidigerin Gül Pinar, beteuerten stets seine Unschuld. Er selber gab sogar zu, kein Unschuldslamm zu sein. Er war wenige Monate vor dem Shisha-Mord-Prozess zu fünf Jahren und drei Monaten Haft wegen Drogenhandels verurteilt worden, besaß illegale Schusswaffen. Aber: „Ich bin nicht der Mörder ihres Sohnes“, sagte Ö. in Richtung der Mutter des Getöteten, die als Nebenklägerin im Prozess anwesend war. „Damit habe ich nichts zu tun.“
„Shisha-Mord“: Wackelige Anklage bricht zusammen
Tatsächlich bestätigte sich im Laufe des Prozesses das, was Pinar bereits vorhersagte: Die wackelige Anklage brach in sich zusammen.
Die Thesen der Staatsanwaltschaft stützten sich unter anderem nur auf eine DNA-Spur, die auf einer kugelsicheren Weste in Tatortnähe gefunden wurde. Die Weste habe ihm gehört, gab der Angeklagte bereits in Vernehmungen mit der Polizei zu, er habe sie sich wegen eines Streits mit Engländern in Spanien angeschafft, sie aber lange vor der Tat abgegeben; an einen „Abel“, der kurz nach der Verhaftung von Okan Ö. untergetaucht war. „Wie viel Zufall kann man da annehmen?“, fragte die Anwältin vor Gericht.
Zudem sei er zur Tatzeit bei seinen Eltern gewesen und habe gekifft. Das belegten auch ausgewertete Handydaten: Die registrierten Bewegungen hätten auch vor dem Prozess nahelegen müssen, so Pinar, dass ihr Mandant gar nicht die Tat hätte begehen können. Zudem schreibt er vor und nach der Tat mit einer Freundin, schickt ihr unter anderem ein Foto eines XXL-Joghurt-Bechers, den sein Vater gekauft hat mit dem Hinweis: „Er kauft einfach 10 Kilo Joghurt.“
Ex-Freundin belastete Okan Ö. – wegen der Belohnung?
Neben der DNA-Spur war es aber vor allem die Aussage seiner Ex-Freundin, die den jungen Mann – zur Tatzeit war er 24 Jahre alt – schwer belastete: Nachdem sich Ö. von ihr getrennt und mit einer anderen Frau verlobt hatte, sagte sie der Polizei, dass er ihr gegenüber den Mord gestanden habe. Das Geständnis lässt sich in Gesprächsprotokollen – Okan Ö. wurde abgehört und seine Wohnung verwanzt – aber nicht finden. Zudem habe die Frau sich wenige Tage nach ihrer Aussage nach der Belohnung von mehreren Tausend Euro erkundigt. Pinar: „Das schien ihre Motivation gewesen zu sein.“
Trotz mehrerer Ladungen erschien die Ex-Freundin als Zeugin nie vor Gericht. Es wird vermutet, dass sie das Land inzwischen verlassen hat.
„Shisha-Mord“: Anklage trotz sehr lückenhafter Indizien
Es gab – neben den ausgewerteten Handydaten – weitere Indizien, die darauf hindeuteten, dass Okan Ö. nicht einer der Täter war: So hatten mehrere Zeugen das Täter-Duo als eindeutig dunkelhäutig beschrieben. Entsprechende Notrufe werden vor Gericht abgespielt. Die Annahme, dass Okan Ö. und der mutmaßliche Auftraggeber Ismail M. sich kannten, beruhte wahrscheinlich nur darauf, dass sie im selben Stadtteil aufgewachsen waren und Kontakte nach Spanien hatten. Aus den Gesprächen von 33 abgehörten Personen konnte laut Pinar kein Kontakt zwischen den Männern hergestellt werden. Auch Terry S. habe ihr Mandant nicht gekannt. Sie hätten in unterschiedlichen Drogenbereichen operiert.
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Dass es trotz dieser Erkenntnisse zur Anklage kam, hält die die Anwältin für fragwürdig. „Ermittlungsbehörden, die die Unschuldsvermutung nicht hochhalten, verursachen nicht nur unnötig Arbeit für die Gerichte, sondern sie klären Taten nicht auf, weil sie sich mit falschen Arbeitshypothesen an falschen Fährten aufhalten. Und sie verursachen viel Leid für die Betroffenen und ihre Familien“, sagte sie zur MOPO. Ganz zu schweigen vom psychischen Druck, den ihr Mandant in neunmonatiger Isolationshaft hatte ertragen müssen.
„Shisha-Mord“: „Wir wissen nicht, wer die Täter sind“
Bei der Verlesung des Plädoyers am vergangenen Freitag kam auch die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass Ö. nicht der Täter sei und freigesprochen werden müsse. Der Haftbefehl in der Sache war bereits vorher aufgehoben worden. Wegen Drogenhandels muss Okan Ö. trotzdem im Gefängnis bleiben, auch eine Strafe wegen illegalen Waffenbesitzes soll folgen. Ende März soll dann das Urteil bzw. der Freispruch offiziell verkündet werden.
„Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass wir nicht wissen, wer die Täter sind“, sagte Gül Pinar abschließend. Ihr Fazit: „Und wir wissen nicht, ob die Staatsanwaltschaft wegen dieser Tat noch in eine andere Richtung ermittelt hat – oder zumindest mittlerweile mal ermittelt.“
Das tut sie einer Sprecherin der Staatsanwaltschaft zufolge: „Selbstverständlich wird auch in andere Richtungen ermittelt. Weitergehende Auskünfte sind angesichts der laufenden Ermittlungen derzeit jedoch nicht möglich.“