Döner-Skulpturen im Rokokoschloss: Bildhauer Metzel in Weimar

Kein zweiter Bildhauer in Deutschland vermag wie Olaf Metzel, hiesige historische Umbrüche, gesellschaftliche Schieflagen und Ungerechtigkeiten derart scharf zu benennen und in formal starke Werke zu gießen. Metzels Chuzpe, stets das Gegenteil des Erwartbaren und des Mainstream zu formulieren und in ein Alphabet aller nur denkbaren Materialien von A wie Aluminium bis Z wie Zeitung umzusetzen, gern auch noch als Finish mit seinem Lieblingsinstrument, der Flex, traktiert, ehrt nun die Klassik Stiftung Weimar mit deren Präsidentin Ulrike Lorenz mit der grandiosen Überblicksschau „Deutschstunde“ im Weimarer Schloss Belvedere. Unbedingt sollte man jedoch vorher einen Besuch im Liszt-Haus einplanen, wird doch hier in vier Sälen als Einführung eine Rückschau auf Metzels bekannteste Großprojekte gegeben, zugleich aber auch in seine Arbeitsweise anhand von Vorzeichnungen, Skizzen und elaborierten Entwurfsmodellen eingeführt, mit hinreißend feinen Studien und Vorzeichnungen etwa für seine „Reise nach Jerusalem“, einer flamboyanten Säule aus farbigen Plexiglasscheiben, die optisch die Münchner Pinakothek der Moderne trägt und zugleich durch die transparenten Lamellen zum schwerelosen Tanzen bringt. Metzels Babelturm stand jahrelang an der Berliner Oberbaumbrücke Auch das Modell des mahnenden Babelturms „13.4.1981“ aus rot-weiß gestreiften Polizeiabsperrgittern ragt im Liszt-Haus auf, sicher eines der umstrittensten Kunstwerke Deutschlands der vergangenen vierzig Jahre, in dem Metzel die auf einen durch Polizeieinsatz getöteten Demonstranten folgenden Straßenkämpfe und Proteste gegen den verhassten Innensenator Heinrich Lummer verewigte. Lange stand die meterhohe Installation eher versteckt vor dem Bauhaus-Speicher von Universal Music an der Berliner Oberbaumbrücke. Noch als gut ein Meter hohes Modell aber entfaltet es eine unbändige Kraft, als wäre alle empfangene Aggression noch immer darin gespeichert. Wenn die Boulevardpresse damals über die Ausstellung von Metzels Meisterschülerklasse an der Münchner Akademie der Künste „Von Punk bis Porno“ titelte, konnte er, der dort seit 1990 Professor für Bildhauerei und bis 1999 deren Rektor war, sich gewiss sein, alles richtig gemacht zu haben – Provokation war für ihn oft Mittel, um freie Gedanken anzustoßen. Vom Komponistenhaus aus geht es drei Kilometer die Allee entlang weiter zum sonnengelb-spätbarocken Schloss Belvedere, mit seinem Schweifgiebel und maurischen Kuppeln über den Seitenflügeln Teil des Weltkulturerbe „Klassisches Weimar“, in dem sich seit Baubeginn 1724 durch Ernst August von Sachsen-Weimar von Anna Amalia bis Maria Pawlowna die unterschiedlichsten Persönlichkeiten und Stile sedimentiert haben. Empfangen wird man im Foyer von Metzels Aluminiumskulptur „Berliner Kindheit“ auf einem rohen Betonsockel, dreidimensionale Manifestation des gleichnamigen Buchs Metzels im sogenannten Kreuzkölln, dem fließenden Übergang von Kreuzberg in das noch wüstere Neukölln. In die aufgesprengt wirkende Plastik, die wie ein hitzeverbackener Weltkriegsrest eines demolierten Hauses wirkt, sind Karofliesenmuster eingeprägt. Diese wiederum werden raffiniert in den blau-weißen Delfter Fliesenbildern an den Schlosswänden gespiegelt, ein erster Beleg, wie sensibel der Künstler auf Grundstimmung wie auch kleinste Details der sehr unterschiedlichen Säle reagiert. Das setzt sich nach dem Abschreiten der herrschaftlichen Treppe im ersten Stock fort: „Milieufragen“ passt in dem silbergefassten Prunksaal mit seinen seltenen Chinoiserien wie ein räudiges Pony in ein Lipizzanergestüt. Zwölf Seit an Seit stehende Standurinale besetzen wie Körper im Raum die zentrale Achse und erinnern an Duchamps „Pissoir“ und mit ihrer gestisch-expressiven Drippings in Schwarz an die Abstraktion der Nachkriegszeit, nicht ohne mit ihren geschwungenen Formen gleich noch eine Formanalogie zu zwei ebenfalls einbuchtenden Wandnischen aus Marmor aufzumachen. Im Roten Salon kontrastiert dessen noble bordeauxfarbene Wandbespannung kräftig mit der Skulptur „Plattenbau“, einer mit ebendiesen gar nicht edlen Modulbauten bedruckten, seismisch bebenden „Decke“ auf einem staffeleiartigen Gerüst, das aussieht, als sei der zukunftsbesoffene Blueprint für die architektonischen Hüllen einer neuen Gesellschaft hart auf den Boden der Tatsachen geprallt und hätte dadurch einstürzende Neubauten verursacht. Von Siegfried Lenz und Hannah Arendt Der Blick wird im Saal der titelgebenden „Deutschstunde“ ebenso stark auf das schimmernde Buchstabengewirr aus Aluminiumguss wie in Richtung Decke gezogen, wo sich ein gemalter Himmel aus Wolkenmarmor öffnet. Die Assoziationsbreite von Metzels Skulptur ist wie immer vielfältig: Die beiden leuchtend rot auf eine der Seitenwände gedruckten Satzzeichen könnten einesteils je ein verfettetes Komma sein, das aus einem mopsigen Punkt hervorwächst, andererseits aber auch das Signet einer bekannten Mobilfunkfirma. Derartige babylonische Signifikantenverwirrung ist genau nach des Künstlers Geschmack, der schon die metallenen Schriftzeichen auftürmt wie die Trümmer von 9/11. Im fünften Saal zieht erneut ein Aluminiumguss die Blicke auf sich, der in einer durchfensterten und ausstuckierten Wandnische steht und durch das einfallende Licht ständig impressionistisch seine Form und vor allem Oberfläche wandelt. Die Skulptur „Oberkante Unterlippe“, der Berliner Ausdruck für „kurz vor der Explosion stehen“, besteht aber nicht aus Schriftzeichen, sondern wirkt durch und durch körperlich, scheint sogar Kopf, Auge und eine Art Maul zu besitzen. Die porige und stark strukturierte Oberfläche nimmt wiederum die Maserung der Stucklisenen in Rot und Ocker auf. Die nach allen Seiten bewegt in den Raum ausgreifende Statuette ist eine Mischung aus urtümlichen afrikanischen Masken und einer subtilen Reprise von Umberto Boccionis futuristischer Plastik „Einzigartige Formen von Kontinuität im Raum“, bekannt etwa von der italienischen Zwanzigcentmünze, verbindet mithin Urbilder mit Zukünftigem. Fragmente von Hannah Arendts Schrift „Wir Flüchtlinge“ sind zu entziffern, die mit den Worten „Wir mögen es nicht, Flüchtlinge genannt zu werden. Wir bezeichnen uns selbst als Neuankömmlinge oder Immigranten“ anhebt, um vehement Menschenrechte für diese einzufordern. Welch enormes Gespür der Künstler für die Positionierung seiner Skulpturen im Raum besitzt, erweist sich an den zahlreichen Schultischen von „ichhasseschule“, die nur scheinbar kreuz und quer die Gänge und Räume verstellen. Wie schon bei „Oberkante Unterlippe“ vermengen sich abermals Graffiti-Urzeichen, die auch Höhlenmalerei sein könnten, mit mehr oder weniger schlauen Pennälersprüchen. Hintergrund der Skulptur ist eine Aktion des Künstlers von 2010, in der er Münchener Gymnasiasten freie Narrenhände beim Beschmieren von Tischen und Wänden ließ, ihnen lediglich Farben, Verköstigung und Alkohol stellte. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Mindestens so gute Kompositionen wie Basquiat, farblich gewagt, sprachlich ebenfalls. „Deine Mutter hat mehr Dreier als BMW“ steht da neben „Teilst Du Deinen Döner mit mir?“ und anderen Zoten. Zur diebischen Freude des Künstlers waren die Resultate bei Wiederholung der Schul-Guerillaaktion mit Nichtgymnasiasten aus eher bildungsfernen Schichten im Ruhrgebiet sehr vergleichbar. Nur der Döner spielte hier eine größere Rolle, weshalb die Überleitung zum größten Saal des Schlosses spielerisch gelingt. Dort, unter dem grimmig dreinblickenden Jupiter mit Vater Chronos und dem Rest der göttlichen Bagage im Deckenfresko, steht ein von zehn schwarzen Bistrotischen mit schmierig wie Erdöl glänzenden Plastikhussen umgebenes spiraliges Konstrukt aus farbigem Plexiglas und Metall, das in der Tradition von Tatlins konstruktivistischem Turm-Monument für Russlands Dritte Internationale steht. Handelt es sich allerdings bei dem Tatlin-Turm um einen nie realisierten Bau aus Stahl und Glas als Symbol einer neuen Gesellschaftsordnung, war Initialzündung für den Künstler die Peinlichkeit des deutschen Bundespräsidenten, bei einem Staatsbesuch in der Türkei Döner als Gastgeschenk mitzubringen, weshalb das Enviroment geradezu fetttriefend ironisch „Kebab Monument“ heißt. Döner in die Türkei tragen Vielleicht das anrührendste Raum-Gesamtkunstwerk gelingt Metzel im Grünen Salon. Leicht aus der Achse versetzt postiert er seine inzwischen in vielen Variationen gegossene Bronzefigur „Turkish Delight“, eine nackte, nur mit Kopftuch bekleidete Türkin, die mit in die Unendlichkeit starrenden Augen und zusammengesackten Schultern verloren umhersteht. Der fürs Belvedere gefertigte Guss glänzt samtig schwarz. Wochenlang modellierte er die leicht unterlebensgroße Figur nach einem realen Akt, dem schließlich nach kräftezehrendem Modellstehen die Kraft für weitere Körperspannung fehlte und der ins Hohlkreuz verlagerte. In genau diesem Moment hielt der Bildhauer sie fest. Dass die Figur in ihrer Fragilität und ironischen Betitelung als beliebte osmanische „Süßigkeit“ gerade in der Türkei nicht falsch verstanden wird, zeigt sich schon daran, dass die beiden ersten Versionen nach Istanbul gingen und dort heute in all ihrer Erschöpfung und Hinfälligkeit auf den Bosporus blickt. So wie nun der dunkle Arendt’sche Neuankömmling in Weimar aus dem Schlossfenster in eine für Metzel unschöne Zukunft sieht. Olaf Metzel. Deutschstunde. Liszt-Haus und Schloss Belvedere, Weimar; bis 1. November. Katalog folgt.